Ein Strafbefehl ist bereits ergangen, und fünf Anzeigen sind gegen den Stuttgart 21-Protestorganisator Gangolf Stocker anhängig.

Stuttgart - Der Verantwortliche für die Demonstrationen gegen Stuttgart 21, der SÖS-Stadtrat Gangolf Stocker, und sein Rechtsbeistand Roland Kugler haben am Montagabend schwere Vorwürfe gegen die Ordnungsbehörden erhoben: Stocker werde als Versammlungsleiter systematisch mit Anzeigen wegen Kleinigkeiten eingeschüchtert – mittlerweile werde gegen ihn in fünf Fällen ermittelt. Damit werde versucht, den Widerstand gegen das Großprojekt "zu kriminalisieren und zu stören". In einem sechsten Fall hat das Amtsgericht bereits einen Strafbefehl über 1500 Euro gegen Stocker verhängt; dagegen wurden Rechtsmittel eingelegt. Anders als Stocker behaupte, so die Pressestaatsanwältin Claudia Krauth, werde ihm nicht zur Last gelegt, als Versammlungsleiter für die Polizei nicht sofort erreichbar gewesen zu sein, während Demonstranten am 27.August in die Bannmeile um den Landtag vorgedrungen seien. "Wir werfen ihm vor, gar nicht vor Ort gewesen zu sein", so Claudia Krauth.

Für Stocker ist das "ein Witz". Sein Anwalt und er bewerten die Anzeigenflut als "Angriff auf die Versammlungsfreiheit". Sie beklagen einen Strategiewechsel der Polizei, der wohl aber nicht aus eigenem Antrieb erfolgt, sondern politisch motiviert sei. "Da hat Innenminister Rech seine Hand im Spiel", glaubt Stocker, denn bis zum Einsatz im Schlossgarten habe die Polizei Auflagenverstöße nicht angezeigt, sondern mit ihm über Problemlösungen gesprochen. Die Polizei äußerte sich am Montag nicht zu den Vorwürfen. Stocker sagte, die Staatsanwaltschaft höre wohl auf das Kommando von "Ferrari-und-Revolver-Goll" – damit meint er den Justizminister. Das sei absurd, so Pressestaatsanwältin Claudia Krauth: "Wir reagieren nur." Verstöße gegen die Auflagen seien nun einmal Straftaten, die verfolgt werden müssten. Kugler will nicht ausschließen, dass künftig die montäglichen Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern unangemeldet stattfinden, falls Stocker als Versammlungsleiter ausfiele.

Streit zwischen Akionsbündnis und Ordnungsamt ist vorerst beigelegt


"Wer würde diese Aufgabe vor diesem Hintergrund freiwillig übernehmen?" Stadtrat Stocker wird sich bald vor Gericht verantworten müssen, weil er angeblich den Verkauf von Aufklebern gegen S21 an einem Infotisch und die Teilnahme eines Fahrzeugs der Jugendoffensive an einem Demonstrationszug nicht unterbunden habe. Er muss mit Strafbefehlen rechnen. Laut Kugler sind die Verstöße "lächerlich". Sie könnten "bei der Größe der Demonstrationen niemals vom Versammlungsleiter verhindert werden". Der Verantwortliche riskiere faktisch bei jeder Veranstaltung einen Strafbefehl. Dies hätte steigende Geldstrafen zur Folge. Bei mehr als 90 Tagessätzen (im Falle von Stocker wären das 4500 Euro Strafe) wäre der Versammlungsleiter vorbestraft. Staatsanwältin Krauth schlägt den Stuttgart-21-Gegnern vor, sich besser vorzubereiten. "Warum gibt es nicht zehn Versammlungsleiter, die vernetzt sind?" Die Polizei kriege das auch hin.

Vorerst beendet ist dagegen der Streit zwischen dem Aktionsbündnis und dem Ordnungsamt über den Veranstaltungsort am Montagabend. Laut Kugler gab es erstmalig die Auflage, die Kundgebung lediglich auf die drei Fahrspuren der Schillerstraße vor dem Bahnhof zu beschränken. Die Fahrbahn in Richtung Wagenburgtunnel sollte dagegen für den Feierabendverkehr freigehalten werden. Das Aktionsbündnis hält dies allerdings für viel zu gefährlich und beantragte deshalb eine einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht, um diese Verfügung zu verhindern. Vor einer Entscheidung zog das Ordnungsamt die Auflage zurück. Die Leiterin Dorothea Koller sagte, die Auflage sei nicht klar genug formuliert gewesen. Wie bisher auch sollten die stadtauswärtigen Spuren nicht von vornherein als Versammlungsort und schon gar nicht als Standplatz für Infotische gesperrt werden, sondern erst, wenn es die Polizei für nötig hielte.