Die Welt wird schlechter? An der Statistik der Gerichte lässt sich das nicht ablesen. Die Zahl der Verurteilten ging 2015 jedenfalls deutlich zurück. Doch es gibt einige markante Ausreißer.

Stuttgart - In Baden-Württemberg werden seit Jahren immer weniger Menschen verurteilt: Auch die neueste Bilanz der Gerichte vermittelt das Bild einer immer gesetzestreueren Gesellschaft. So wurden im Jahr 2015 rund 102 600 Personen schuldig gesprochen – das sind 2,1 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Dieser rückläufige Trend setzt sich damit im achten Jahr fort, und zwar in allen Altersgruppen. Die Zahl der Schuldsprüche gegen Jugendliche ging ebenso zurück (-10,5 Prozent) wie jene gegen Heranwachsende (-2,3 Prozent) und gegen Erwachsene (-1,6 Prozent).

 

Daran ändern auch die Schwankungen bei Bevölkerungszahl und Altersstruktur nichts: Bereinigt um demografische Faktoren, sinkt die Zahl der Schuldsprüche sogar um drei Prozent. „Das ist selbstverständlich eine positive Entwicklung“, sagte Justizminister Guido Wolf (CDU) am Montag bei der Präsentation der Strafverfolgungsstatistik. Nach Erkenntnis von Carmina Brenner, der Präsidentin des Statistischen Landesamts, ist die Verurteiltenziffer in allen Altersgruppen so niedrig wie noch nie seit Gründung des Landes 1952.

Bei näherer Betrachtung zeigt dieses Bild allerdings vereinzelt Risse – und das nicht nur, weil die polizeiliche Kriminalstatistik eine ganz andere Sprache spricht: Danach wurden 2015 nämlich deutlich mehr Straftaten verübt als im Jahr zuvor. Die Statistik der Schuldsprüche spiegelt lediglich jene Fälle, die aufgeklärt wurden und letztlich zu einer Verurteilung führten. Außerdem gibt es Ausreißer: „Wir haben bei Diebstählen und insbesondere bei Einbruchdiebstählen unerfreuliche Entwicklungen“, sagte Wolf mit Blick auf 18,2 Prozent mehr Verurteilungen wegen Wohnungseinbrüchen im vergangenen Jahr. Da solche Delikte erhebliche Folgen für die Opfer hätten, müsse die Politik hier gegensteuern.

Bemerkenswert ist auch die Entwicklung bei den verurteilten Ausländern: Sie haben einen Anteil an den Schuldsprüchen von 36,2 Prozent – das ist ein Plus von 2,9 Prozent gegenüber 2014. Berücksichtigt man, dass die Zahl der Ausländer im strafmündigen Alter im vergangenen Jahr stark zugenommen hat, steigt die Kurve zwar nur um 0,9 Prozent nach oben. Doch bei der deutschen Bevölkerung sank die Verurteiltenhäufigkeit laut Statistik im selben Zeitraum um 6,5 Prozent.

Mehr Ausländer verurteilt

Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Delinquenten sind auch bei der Art der Straftaten erkennbar. So standen 2015 bei den Deutschen die Straßenverkehrsdelikte an erster Stelle (25,1 Prozent) – noch vor Betrug und Untreue (23 Prozent) und Diebstahl (12,7 Prozent). Ausländer wurden hingegen am häufigsten wegen Diebstahls (25,5 Prozent) , Betrugs und Untreue (21,4 Prozent) verurteilt. Überhaupt nahmen die Verurteilungen wegen Diebstahls insgesamt im dritten Jahr in Folge zu. Damit sind allerdings zum überwiegenden Teil (14 900 Urteile) Ladendiebstähle und ähnliches gemeint. Lediglich 2900 Urteile wurden wegen schweren Dienstahls gefällt, also etwa wegen Einbruch- oder Bandendiebstahls.

Welche Ursache der Rückgang der Schuldsprüche hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Ein verändertes Anzeigeverhalten schlägt sich ebenso bei den Schuldsprüchen nieder wie Gesetzesänderungen oder Ermittlungserfolge der Polizei. Auch die sogenannten Häuser des Jugendrechts, in denen Straftaten von Jugendlichen schnell sanktioniert werden, haben nach Wolfs Ansicht Einfluss auf die Statistik: „Diese haben neben der strafrechtlichen auch eine erzieherische Wirkung.“

Staatsanwälte ächzen

Dass die Gerichte wegen der rückläufigen Verurteiltenzahl weniger zu tun haben, bestreitet der Justizminister vehement. Der Bereich des Strafrechts mache gerade mal 18 Prozent der richterlichen Arbeit aus, rechnete Wolf vor. Ein Weniger an Verurteilungen bedeute auch nicht, dass die Staatsanwaltschaften weniger zu tun hätten. Wolf: „Im Gegenteil. Wir hatten 2015 ein Zehnjahreshoch bei den Verfahren.“ Die seit Jahren unter 2,5 Prozent liegende Freispruchquote spreche für die Sorgfalt, mit der die Strafverfolgungsbehörden bei der Entscheidung vorgingen, ob sie Anklage erheben oder den Erlass eines Strafbefehls beantragen.