Region: Verena Mayer (ena)

Auf Joachim Walters Schreibtisch steht ein Spielzeug. In einer Flasche mit Wasser schwimmt eine kleine Plastikfigur. Wenn man oben auf den Verschluss drückt, taucht die Figur ab. Walter drückt nicht. Der ehemalige Gefängnisdirektor will nicht, dass jemand vollständig in der Versenkung verschwindet.

 

In Walters Vorstellung sieht die ideale Haft so aus: die Delinquenten leben zwar hinter Gefängnismauern, aber in Wohngruppen mit maximal 15 Personen. Für jede Gruppe gibt es mindestens einen Sozialpädagogen. Neue Justizvollzugsanstalten umfassen nicht mehr als 300 Haftplätze, dafür gibt es mehr Psychologen und eine individuellere Betreuung. Walters Ansichten werden in der Fachwelt geteilt.

Als Joachim Walter Leiter der JVA Adelsheim war, durften Jugendliche ihre Strafe in einer Art Wohngemeinschaft auf dem Anstaltsgelände ableisten oder außerhalb in sozialen Einrichtungen. Unter solchen Bedingungen würden die Häftlinge besser auf ein normales Leben vorbereitet, weiß Walter. Er weiß aber auch, wie empfindlich die Öffentlichkeit auf solche Gedanken reagiert. Als etwa vor wenigen Wochen über mehr Hafturlaub für Lebenslängliche diskutiert wurde, war das Geschrei groß.

Im Mehrzweckraum schreit der Sänger: „They said stop, I said go!“ Die Arme des Schlagzeugers glänzen. „They said fast, I said slow“, tönt es von der Bühne. Der Bassist trinkt einen Schluck Wasser. „They said Yes, I said No“, hallt es durch den Mehrzweckraum. Der Frontman Markus Kaltschmidt, 43, schlendert durch die Stuhlreihen. „I do the Bad Boy Boogie“, stöhnt er. Seine schwarzen Haare hat Kaltschmidt zu einem Zopf gebunden. Eine geschmiedete Schlange umfasst sein Handgelenk, um seinen Hals baumelt an einer Kette ein Einhorn, aus seinem schwarzen Shirt ragen tätowierte Arme.

7300 Häftlinge im Land

Der pensionierte Leitende Regierungsdirektor arbeitet mittlerweile als Anwalt. Für den Staatsdiener a. D. gibt es noch immer viel zu tun für die Staatsbürger hinter Gittern. Aktuell kämpft er mit einem seiner Mandanten darum, dass für Gefangene Rentenbeiträge gezahlt werden. Weil während der Haftzeit keine Sozialabgaben abgeführt werden, hat sein Mandant keinen Rentenanspruch, wenn er rauskommt. Obwohl er dann 20 Jahre lang im Knast gearbeitet und Geld verdient haben wird. „Das ist diskriminierend“, sagt Walter.

Im Mehrzweckraum in Stammheim breitet sich der Krachbrei aus. „I’m a wanted Man“, jault der Sänger. Die Männer auf den Stühlen wiegen ihre Oberkörper im Takt, die mit engen Shirts bedeckt sind oder zu großen Hemden. „Public Enemy Number one“, kracht es aus den Boxen. Die Männer trommeln auf ihre Schenkel, die in Trainingshosen oder Jeans stecken. „Cause I’m T.N.T. I’m Dynamite“, grölt der Saal. Draußen zieht ein Traktor Furchen in Felder. Die Schrebergärtner neben dem Knast hegen ihr Gemüse. Auf einem Laternenmast im Hof lässt sich eine Taube nieder und schaut durch ein vergittertes Fenster. Hinten im Saal sitzen Wärter und behalten die Konzertbesucher im Blick. Die Inhaftierten verhielten sich stets positiv, sagt Klaus Boshart. Einen Zwischenfall habe es bei Rock im Knast noch nie gegeben.

Boshart organisiert für seine Häftlinge auch Fußball- und Kartenspiele, Schach- und Kochrunden. Seine Männer können basteln und Kraftsport treiben, Tischtennis spielen und die Bibelstunde besuchen. Die Aufsicht übernehmen entweder die Beamten außerhalb ihrer Dienstzeit oder Ehrenamtliche in ihrer Freizeit. Boshart ist dankbar für jeden Einzelnen. Die externen Helfer tun viel mehr, als ihre Zeit zu verschenken: Sie bauen Brücken – „zwischen dem verschlossenen Teil der Gesellschaft und dem freien“, wie Klaus Boshart sagt. Denn häufig, das hat der Justizvollzugsbeamte gelernt, realisierten die Leute draußen gar nicht, dass die Leute drinnen auch ein Teil der Gesellschaft seien.

Wohngemeinschaften im Gefängnis

Auf Joachim Walters Schreibtisch steht ein Spielzeug. In einer Flasche mit Wasser schwimmt eine kleine Plastikfigur. Wenn man oben auf den Verschluss drückt, taucht die Figur ab. Walter drückt nicht. Der ehemalige Gefängnisdirektor will nicht, dass jemand vollständig in der Versenkung verschwindet.

In Walters Vorstellung sieht die ideale Haft so aus: die Delinquenten leben zwar hinter Gefängnismauern, aber in Wohngruppen mit maximal 15 Personen. Für jede Gruppe gibt es mindestens einen Sozialpädagogen. Neue Justizvollzugsanstalten umfassen nicht mehr als 300 Haftplätze, dafür gibt es mehr Psychologen und eine individuellere Betreuung. Walters Ansichten werden in der Fachwelt geteilt.

Als Joachim Walter Leiter der JVA Adelsheim war, durften Jugendliche ihre Strafe in einer Art Wohngemeinschaft auf dem Anstaltsgelände ableisten oder außerhalb in sozialen Einrichtungen. Unter solchen Bedingungen würden die Häftlinge besser auf ein normales Leben vorbereitet, weiß Walter. Er weiß aber auch, wie empfindlich die Öffentlichkeit auf solche Gedanken reagiert. Als etwa vor wenigen Wochen über mehr Hafturlaub für Lebenslängliche diskutiert wurde, war das Geschrei groß.

Im Mehrzweckraum schreit der Sänger: „They said stop, I said go!“ Die Arme des Schlagzeugers glänzen. „They said fast, I said slow“, tönt es von der Bühne. Der Bassist trinkt einen Schluck Wasser. „They said Yes, I said No“, hallt es durch den Mehrzweckraum. Der Frontman Markus Kaltschmidt, 43, schlendert durch die Stuhlreihen. „I do the Bad Boy Boogie“, stöhnt er. Seine schwarzen Haare hat Kaltschmidt zu einem Zopf gebunden. Eine geschmiedete Schlange umfasst sein Handgelenk, um seinen Hals baumelt an einer Kette ein Einhorn, aus seinem schwarzen Shirt ragen tätowierte Arme.

7300 Häftlinge im Land

Im Leben draußen verdient Kaltschmidt sein Geld als Teamleiter bei einer Unternehmensberatung. Für den Auftritt in Stammheim zahlen der Bandchef und seine Musiker aus Mannheim drauf. Nicht mal die Spritkosten für die Fahrt werden ersetzt. Doch die Thunder/Bells finden Rock im Knast wichtig. Die Häftlinge sollen etwas Spaß haben, sagt Kaltschmidt. Normalität ahnen. Die Thunder/Bells  spielen  an  diesem  Tag  das  aktuelle AC/DC-Tourprogramm. Außer „Jailbreak“. Diese Nummer musste draußen bleiben.

In Baden-Württemberg gibt es 17 Justizvollzugsanstalten. Momentan sitzen dort 7300 Häftlinge ein. Betreut werden sie von 2440 Vollzugsbeamten und 110 Ärzten, Psychologen und Seelsorgern. Rund 260 Millionen Euro gab das Land im Jahr 2010 für seine Gefangenen aus. In ihrem Koalitionsvertrag 2011 haben die Grünen und die SPD vereinbart: „Den Strafvollzug werden wir konsequent am Gedanken der Resozialisierung ausrichten.“ Seither hat die Regierung 16 Stellen für eine bessere therapeutische Betreuung von Sicherungsverwahrten geschaffen. Klaus Boshart hofft, dass er seinen Gefangenen demnächst eine kleine Sporthalle bieten kann. Damit sie beim Krafttraining oder Tischtennisspielen nicht so oft improvisieren müssen. Bei all diesen Bemühungen geht es darum, Straftätern den Weg zurück in ein Leben außerhalb der Gefängnismauern zu ebnen.

Der Anwalt Joachim Walter kämpft zurzeit dafür, dass einer seiner älteren Mandanten einen ehrenamtlichen Betreuer seiner Wahl erhält. Dies wäre laut Walter ein Freund des Straftäters mit bestem Leumund. Der Mann könnte dem Häftling bei dessen Rückkehr in den Alltag helfen, meint der Anwalt. Doch die JVA ist dagegen: Ein zu enger Kontakt könne problematisch sein. „Dieses Misstrauen ist typisch Knast“, sagt der Jurist.

Mit dem 18. Stück dröhnt das Konzert in Stammheim dem Ende entgegen. Die hundert Männer erheben sich von den Stühlen. Als sie merken, dass die Thunder/Bells eine Zugabe eingeplant haben, setzen sie sich wieder. Noch zwei Songs, noch zweimal Applaus. Dann geht es zurück in die Zellen. Einige ziehen Schaumstöpsel aus den Ohren, die Thunder/Bells packen ihre Instrumente ein. Am Sonntag findet an gleicher Stelle ein Gottesdienst statt. Auch er wird gut besucht sein. Alles ist besser, als in der Zelle zu sitzen.