Fernab der öffentlichen Wahrnehmung arbeiten Strafgefangene für renommierte Unternehmen. Doch für welche Unternehmen, was bedeutet das für die Inhaftierten und wie sieht die Zukunft dieser Praxis aus?

Pünktlich um 7.30 Uhr werden die Zellentüren aufgeschlossen. Ein Großteil der Häftlinge wartet in Arbeitskleidung auf den Gong, der signalisiert – jetzt ist Zeit zu arbeiten. „Es ist gut, dass wir arbeiten können, aber die Bedingungen könnten besser sein. Es fühlt sich manchmal so an, als ob wir ausgenutzt werden“, erklärt Markus H. (Name geändert), der seit zwei Jahren in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) im Süden von Baden-Württemberg einsitzt.

 

Was viele Menschen nicht wissen: In den Werkhallen der Justizvollzugsanstalten Baden-Württembergs herrscht reges Treiben. Strafgefangene arbeiten im Auftrag großer Unternehmen wie Mercedes-Benz und Würth. Diese Kooperationen sind Teil einer öffentlich wenig bekannten Wirtschaftszone: dem Strafvollzug.

Die Produktpalette, die in den Justizvollzugsanstalten Baden-Württembergs hergestellt wird, ist breit gefächert. Neben der Arbeit in Eigenbetrieben, arbeiten Inhaftierte auch in Unternehmerbetrieben, die Lohnarbeiten für internationale und regionale Betriebe übernehmen. Diese Aufgaben reichen vom Sortieren und Verpacken über Montagearbeiten bis hin zu komplexeren Metallverarbeitungen. Das Land Baden-Württemberg erwirtschaftet dadurch jährlich rund 30 Millionen Euro. Diese Einnahmen fließen in die Löhne der Gefangenen sowie in Materialien, Maschinen und weitere betriebsbedingte Aufwendungen.

Namhafte Unternehmen arbeiten mit Gefängnissen zusammen

Zu den Firmen, die von der ungewöhnlichen Arbeitskraft profitieren, gehören Global Player wie Mercedes-Benz, Würth, Fischer Dübel, Elring-Klinger und Brennenstuhl. Der Landesbetrieb Vollzugliches Arbeitswesen (VAW) koordiniert diese Aktivitäten. „Die Justizbehörden begrüßen und unterstützen Kooperationen mit Unternehmen, da die sinnvolle Beschäftigung der Gefangenen für eine erfolgreiche Resozialisierung von zentraler Bedeutung ist“, erklärte Pia Droldner, Pressesprecherin von Mercedes-Benz.

Ein Beispiel ist die Firma Brennenstuhl, deren Produktion und Montage von Kabeltrommeln und Steckdosenleisten zu einem großen Teil in deutschen Gefängnissen stattfindet. Die Inhaftierten fertigen Kabeltrommeln und Co. im Akkord und erhalten bei Zielerreichung einen Tageslohn, aktuell zwischen 11 und 18 Euro. Würth und Fischer lassen Schrauben und Dübel teilweise in Haftanstalten sortieren, verpacken oder bearbeiten.

Auch die Autoindustrie ist Kunde der Justiz. Mercedes-Benz lagert „Logistikumfänge, die nicht direkt in die Produktion unserer Fahrzeuge einfließen“, in Knastbetriebe aus – während Elring-Klinger Ersatzteile einschweißen und Etikettieren lässt. Für die Firmen bedeutet diese Auslagerung, dass die Produkte „Made in Germany“ sind – allerdings zu Preisen wie in Niedriglohnländern.

Die Produktion in den Justizvollzugsanstalten stelle für viele Unternehmen bei einfachen Tätigkeiten oder Produktionsprozessen, die eine Verlagerung in sogenannte Billiglohnländer nahelegen, eine sinnvolle Alternative dar. „Entsprechend werden mit diesen Unternehmen Stückpreise vereinbart, die im Wettbewerb zu den Alternativen in Niedriglohnländern bestehen können“, heißt es in der Stellungnahme des Justizministeriums. Dadurch wird das Gefängnis zu einem festen Bestandteil der deutschen Wirtschaft, deren Einnahmen auch nicht eins zu eins den Haftkosten gegenübergestellt werden können.

Rechtliche Grundlage und Entlohnung

Gefangenenarbeit ist durch Artikel 12 des Grundgesetzes gedeckt, der Zwangsarbeit bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung erlaubt. Allerdings sind die Bedingungen, unter denen die Gefangenen arbeiten, umstritten. Die Arbeitsentgelte in Baden-Württemberg liegen zwischen 1,53 und 2,55 Euro pro Stunde. Dies ist ein Bruchteil des Mindestlohns, der zurzeit bei 12,41 Euro liegt. Die Justizbehörden argumentieren, dass die Arbeitsleistung von Gefangenen im Vergleich zu einem normalen Arbeiter viel geringer sei. Dennoch wirbt der Landesbetrieb VAW in seiner Broschüre mit der Qualität der Arbeitskräfte und betont, dass qualifizierte Fachkräfte in sämtlichen Produktionsbereichen eingesetzt werden.

Qualifizierte Arbeitskräfte ohne Arbeitnehmerrechte

„Die derzeitigen gesetzlichen Regelungen sehen keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor; die Möglichkeit einer Erarbeitung von Freistellungstagen besteht hingegen“, teilt das Justizministerium auf eine Anfrage zu den Arbeitnehmerrechten mit. Außerdem bestünde keine verfassungsrechtliche Verpflichtung, Gefangene in die Rentenversicherung oder andere soziale Sicherungssysteme einzubeziehen.

„Ziel des Justizvollzugs ist es, Gefangene dazu zu befähigen, ein Leben ohne Straftaten zu führen. Ein wesentlicher Baustein für die Resozialisierung ist die Befähigung zu einer Erwerbstätigkeit“, so das Justizministerium. Dennoch müssen „die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 7 Landeshaushaltsordnung) bei allen Maßnahmen des Landes“ gelten, auch für die Aus- und Weiterbildung sowie die Beschäftigung der Gefangenen.

Reformen nach Verfassungsurteil in Sicht

Diese Auffassung des Landesjustizministeriums teilen nicht alle. Im Juni 2023 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die derzeitige Vergütung der Gefangenenarbeit nicht ausreichend sei und ein umfassendes Resozialisierungskonzept fehle. Geklagt hatten Inhaftierte aus Bayern und Nordrhein-Westfalen (NRW). Auch das Justizministerium Baden-Württemberg arbeitet derzeit an einem Konzept, das auch die Gefangenenarbeit und -vergütung berücksichtigen soll. Etwa ein Jahr nach dem Grundsatzurteil zeigen sich erste Ergebnisse. Das Justizministerium NRW hat einen ersten Gesetzentwurf erarbeitet, der zur Prüfung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe vorgelegt wurde. In dem Gesetzentwurf ist zu lesen, dass die Basis der Löhne von 9 auf 15 Prozent der Bezugsgröße geändert werden soll.

In Baden-Württemberg würde eine ähnliche Entwicklung eine Lohnerhöhung von etwa zehn Euro am Tag bedeuten. „Arbeit im Strafvollzug ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet“, kommentierte die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe den Gesetzentwurf.

Grundrechtekomitee übt Kritik an der Praxis

Das Grundrechtekomitee argumentiert hingegen, dass die derzeitige Gefangenenarbeit nicht menschenwürdig sei. „Die Gewinnmargen für privatwirtschaftliche Unternehmen durch die Ausbeutung von Strafgefangenen spielen eine tragende Rolle, am Status quo festzuhalten“, sagt Britta Rabe vom Grundrechtekomitee Köln.

„Ein plausibles, also menschenwürdiges Konzept ist innerhalb des existierenden Sanktionssystems allerdings nicht zu erwarten. Arbeit und Arbeitsentlohnung in Haft ohne eine umfassende Anerkennung von Strafgefangenen als Arbeitnehmer mit den damit einhergehenden Rechten, können grundsätzlich nicht zur Resozialisierung beitragen.“ Arbeit in Haft werde somit zu einer zusätzlichen Strafe, heißt es in der Stellungnahme.

Schulden und Unterhalt können nicht bezahlt werden

Auch die Inhaftierten selbst haben ihre Sichtweise auf die Arbeit: „Die Arbeit hier gibt mir Struktur im Tagesablauf und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun“, sagt Markus H., im Gespräch mit dieser Zeitung. „Aber die Bezahlung ist wirklich niedrig. Es ist unmöglich, etwas zu sparen oder meine Schulden abzubezahlen.“

Ein weiterer Betroffener, der in Baden-Württemberg in Sicherungsverwahrung untergebracht ist, erklärt in einem Brief: „Arbeit und eine faire wie angemessene Entlohnung ist wohl die beste Chance zur Resozialisierung, denn sie ist eine zentrale Größe für Anerkennung und Selbsterfahrung. Erst dadurch würde sich die Erfahrung einstellen, dass Arbeit sich lohnt – wenn es dafür eine angemessene Anerkennung gibt. So können auch Inhaftierte und Sicherungsverwahrte zur Rückzahlung von Schulden oder Schmerzensgeld oder Unterhaltsleistungen an Familie/Hinterbliebene ihren Beitrag leisten.“

Auch von Seiten der Unternehmen werden die Prozesse der Justiz beobachtet. Während Mercedes-Benz mitteilte: „Wir beobachten die derzeit laufende Reform der Gefangenenvergütung auf Länderebene“, hat Würth angekündigt, die Zusammenarbeit mit den Justizvollzugsanstalten Adelsheim und Schwäbisch Hall zum 30. September 2024 zu beenden. Die genauen Gründe hierfür wurden bisher nicht mitgeteilt.

Die Firmen Elring-Klinger und Fischer-Dübel setzen ihre Kooperationen fort, betonen jedoch, keinen Einfluss auf die Entlohnung zu haben.

Geheimhaltung und Aufklärung

Recherche
Für welche Firmen die Strafgefangenen arbeiten, ist kaum bekannt. Die Landesregierung von Baden-Württemberg wollte die Namen der involvierten Unternehmen nicht preisgeben. Diese Informationen kamen erst durch Recherchen und durch Anfragen von „Frag den Staat“ ans Licht. Dort ist auch eine Liste mit weiteren Unternehmen einsehbar, die unter anderem in Baden-Württembergischen Gefängnissen produzieren lassen.

Kosten des Vollzugs
Die Nettokosten eines Gefangenen in Baden-Württemberg je Hafttag, einschließlich Bauinvestitionen, betragen 180,46 Euro (letzter verfügbarer Datenbestand 2022). Die Beschäftigungsquote der Inhaftierten in Baden-Württemberg ist mit 60,5 Prozent (2022) die höchste bundesweit. Etwa 6800 Häftlinge befinden sich hier in Haft.