Werden vor 2015 keine Straßenbauprojekte mehr im Land begonnen? Für die grün-rote Landesregierung hat die Sanierung oberste Priorität.

Stuttgart - Werden vor 2015 keine Straßenbauprojekte mehr im Land begonnen? Diese Frage wollte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) dann doch nicht abschließend beantworten. Die Absicht der grün-roten Landesregierung ist allerdings eindeutig: Sanierung und Erhalt der Straßen im Südwesten haben oberste Priorität. Und wenn ausgebaut wird, dann möglichst auf bestehenden Trassen, auch wenn manche Kurve, manche Steigung und manche Ortsdurchfahrt dadurch erhalten bleiben.

 

Diese Erkenntnisse wollen Hermann und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) keinesfalls in einer autofeindlichen Gesinnung begründet wissen. Nach einem Kassensturz beim Thema Straßenbau wurde laut Hermann vielmehr eine gravierende Unterfinanzierung bei den Autobahnen, Bundesstraßen und Landesstraßen festgestellt. So werden bei den vom Bund finanzierten, aber vom Land baulich betreuten Bundesfernstraßen aktuell Projekte für 900 Millionen Euro umgesetzt. "Die bauen wir auf jeden Fall zu Ende, bevor wir neue Baustellen eröffnen", erklärte Hermann.

Projekte im sogenannten vordringlichen Bedarf, die damit höchste Priorität genießen, summieren sich allein für Baden-Württemberg auf 3,7 Milliarden Euro. Jährlich möchte der Bund für seine Straßen 120 Millionen Euro bereitstellen. Hermann: "Dann vergehen 38 Jahre, bis alle Projekte realisiert sind." Und wenn die ganze Summe in die laufenden Projekte fließe, vergingen bis zur Fertigstellung immerhin acht Jahre. Weil die Erfahrung lehrt, dass die angesetzte Summe aus verschiedenen Töpfen erhöht wird, hofft Hermann, dass der Bund so viel Geld bereitstellt wie in den vergangenen zehn Jahren im Schnitt: 230 Millionen Euro.

Keine großen Investitionen im Straßenbau

"Auch dann vergehen 20 Jahre, bis die Projekte des vordringlichen Bedarfs gebaut sind", rechnet Hermann vor. Er hebt heraus: "Es gibt kein Politikfeld, in dem Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander liegen wie beim Straßenbau." Kretschmann ergänzte: "Das Erste, was wir brauchen, ist Realismus" - angesichts der großen Lücke zwischen angemeldetem Bedarf und dem zur Verfügung stehenden Geld.

Außerdem wurde der Erhalt der Straßen vernachlässigt. Laut Hermann ist in den letzten 40 Jahren viel in Neues investiert worden, ohne die Unterhaltskosten zu beachten. Schäden an der Substanz erforderten bei vielen Straßen vermehrt grundlegende und teure Erhaltungsarbeiten.

Für die Zukunft setzt Winfried Kretschmann auf Instrumente im Verkehr, die einen Lenkungseffekt haben. Im Fall der Autos geht es ihm um ein satellitengestütztes Mautsystem, das jeden Kilometer abrechnet. "Ich bin gegen eine Vignette", sagt er. Die habe keinerlei Lenkungseffekt. "Da baut man nur den Staus hinterher." Er stellt sich vor, dass aus dem "freien Gut Straße ein knappes Gut wird". Kretschmann denkt an einen Umweltverbund oder ein Mobilitätskonzept, das Fuß- und Radwege, Straße und ÖPNV besser miteinander vernetzt.

"Autofahren soll etwas für Besserverdienende werden"

Die Opposition im Landtag hält es für richtig, auf den Erhalt und die Sanierung von Straßen zu setzen. "Falsch ist aber, dass man im Gegenzug auf den Bau neuer Straßen verzichtet", erklärte CDU-Fraktionschef Peter Hauk. Zu den umwelt- und menschengerechten Verkehrsmaßnahmen gehöre auch der Bau von Ortsumfahrungen. Für die FDP sagte Jochen Haußmann: "Autofahren soll etwas für Besserverdienende werden." Eine satellitengestützte Maut werde vor allem Berufspendler belasten.

Heftig kritisierten die beiden Grünen-Politiker Kretschmann und Hermann die "Versprechenskultur" der CDU-geführten Vorgängerregierung. Landräte und Bürgermeister im Land pochten darauf, dass alte Zusagen für neue Bauvorhaben eingehalten würden. Doch dafür fehle das Geld. "Es ist saumäßig unangenehm, überall hinzukommen und zu sagen: Wir geben nichts", sagte Winfried Hermann. Kretschmann berichtete von "massiver Kritik und Angriffen", sobald er im Land die Wende in der Verkehrspolitik erläutere. "Das ist irrational, was das abläuft."

Woher das Geld für die Straßen kommt

Verkehrsaufkommen Die Jahresfahrleistung ist auf den Straßen im Land von 75,5 Millionen Kilometern im Jahr 1990 auf 93 Millionen Kilometer im Jahr 2009 gestiegen, teilt das Verkehrsministerium mit.

Mittelzuweisung Verkehrsminister Hermann kritisiert, dass Geld des Bundes nach Quoten oder Schlüsseln, aber nicht nach Bedarf verteilt werde. Das müsse geändert werden. Der Transitverkehr in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen sei erheblich höher als in nördlichen oder östlichen Ländern.

Landesstraßen Laut Ministerium sind 1600 der rund 9400 Kilometer Landesstraßen in sehr schlechtem Zustand. Jährlich würden 80 Millionen Euro benötigt, um den Status quo zu erhalten, und 100 Millionen Euro, um den Zustand zu verbessern. Im Entwurf des Staatshaushaltsplans 2012 sind 100 Millionen Euro für die Sanierung der Landesstraßen vorgesehen. Davon müssten jedoch die Mittel des Landesinvestitionsprogramms der vergangenen Jahre von 23,3 Millionen pro Jahr refinanziert werden.

Hans-Martin Haller (SPD) begrüßte die Erhöhung der Mittel für den Erhalt und die Sanierung der Landestraßen. In künftigen Doppelhaushalten müssten aber auch die Gelder für den Aus- und Neubau aufgestockt werden.