Noch immer gibt es einige fragwürdige Widmungen aus der Zeit der Nationalsozialisten auf Ludwigsburgs Straßen. Der Stadtarchivar hat recherchiert – und viel Ungeheuerliches entdeckt.

Ludwigsburg - In Ludwigsburg gibt es eine Karl-Peters-, eine Carl-Diem und eine Ernst Heinkel-Straße. Doch über diesen und weiteren Paten liegt ein Schatten. Sie stehen in Verdacht, viel tiefer als angenommen im Naziregime verstrickt gewesen zu sein. Im Fall von Karl Peters sind sich die Historiker einig: er wurde als vielfacher Mörder und Rassist entlarvt. Bietigheim-Bissingen und Korntal-Münchingen (hier wird Peters Vorname mit C geschrieben) haben dem Kolonialoffizier der Kaiserzeit schon vor Jahren die Ehre der eigenen Straße entzogen haben, in Eglosheim prangt dessen Name noch immer auf einem Straßenschild. Die Grünen wollten nun im Ludwigsburger Bauausschuss eine Debatte darüber anstoßen. So weit kam es aber nicht. Nach einem Bericht des Archivars Simon Karzel wurde das Thema vertagt.

 

Die Grünenfraktion hatte beantragt, den Leumund von vier Personen zu überprüfen – zu den bereits Genannten kommt noch Adolf Gesswein hinzu. „Bei allen Verdiensten, die den Namensgebern auch zukommen mögen und die seinerzeit zur Benennung von Straßen führte, erscheint dies aus heutiger Sicht als äußerst promblematisch“, meint dazu Stadträtin Elfriede Steinwand. Mit den vier Namen sei keine Vollständigkeit erreicht, ergänzte Markus Gericke. Vermutlich müssten noch weitere Namensgeber in Frage gestellt werden. Darum wünschen sich die Grünen eine Kommission, die verschiedenen Verdachtsmomenten oder Vorbehalten nachgeht und Vorschläge entwickelt, in welchem Fall eine Umbenennung nötig ist.

Mitläufer oder Mörder

Der städtische Archivleiter Karzel ist den ersten Schritt auf diesem Weg gegangen und im Fall des einstigen Pflugfeldener Ortsgruppenleiters Gesswein im Stadtarchiv fündig geworden. Um mehr Klarheit über Haltung, Taten und Werdegang von Diem, Peters und Heinkel zu bekommen, hat er in Archiven gestöbert und Aufsätzevon Historikern zu Rate gezogen.

Im Fall des einstigen Lehrers Gesswein hat er auch Entlastendes gefunden. So war der NSDAP-Mann nach 1945 zwar anderthalb Jahre interniert und zunächst als „belastet“ eingestuft worden. Doch wenig später hatte ihn die Spruchkammer der Alliierten nur noch als „Mitläufer“ geführt. Offenbar habe Gesswein keine Parteiaufmärsche inszeniert, so Karzel. Es gebe viele Zeugenaussagen, wonach er nicht nur sehr beliebt gewesen, sondern auch ein Retter von Nazi-Verfolgten gewesen sein soll. Er sei „Stützpunktleiter wider Willen“ gewesen und habe 1945 die zum Volkssturm Abkommandierten heimgeschickt.

Anders als Carl Diem, der den Volkssturm mit Durchhalteparolen im Stil von „finaler Opfergang für den Führer“ versorgt hat. Der Koordinator der Olympischen Spiele 1936 in Berlin sei zwar nicht direkt an Nazi-Verbrechen beteiligt gewesen, aber seine Rolle als Sportfunktionär sei zumindest problematisch. Schon 2000 hat sich unter anderen Diems Heimatstadt Würzburg abgewandt und eine nach ihm benannte Straße und eine Halle umgetauft.

Hängepartie um Hänge-Peters

Von Ernst Heinkel ist lang bekannt, dass er als Ingenieur und Unternehmer das NS-Regime mit Waffen und Luftfahrttechnik versorgt hat. Inzwischen aber steht er im Ruch, Zwangsarbeiter und Juden nicht nur beschäftigt, sondern sie misshandelt und von der Enteignung jüdischen Eigentums profitiert zu haben. Als doppelt belastet gilt Karl Peters – durch eigene Taten und die Verherrlichung durch die Nazis nach seinem Tod. Der Afrikaforscher ergaunerte Land, das zur Basis der späteren Kolonie Deutsch-Ostafrika wurde. 1897 wurde „Hänge-Peters“ wegen seiner Verbrechen an den Eingeborenen unehrenhaft aus dem Staatsdienst entlassen. Die Nazis verklärten den 1918 gestorbenen Kolonialoffizier zum „Visionär des Kolonialwesens.“

Eine Diskussion zum weiteren Umgang mit diesen Erkenntnissen wurde vertagt. Baubürgermeister Michael Ilk regte an, zuerst die Stadtteilausschüsse und die Anwohner zu befragen. Claus-Dieter Meyer dagegen meinte, davor müsse der Gemeinderat zu einer Entscheidung kommen.

Der Rat muss entscheiden

Kommentar - Endlich hat es die Debatte um unrühmliche Taten von auf Straßenschildern verewigten Berühmtheiten auf die Ludwigsburger Tagesordnung geschafft, schon wird sie abgewürgt. Es ging im Ausschuss um Personen, die seit Jahrzehnten in der Stadt mit eigenen Straßennamen geehrt werden, auf deren Vita jedoch seit geraumer Zeit lange Schatten liegen. Sie stehen im Verdacht, viel tiefer im Naziregime verstrickt oder sogar unmittelbar an Verbrechen beteiligt gewesen sein. In Ludwigsburg wurde diese Debatte zwar vorbereitet – dann aber unverständlicher Weise sofort wieder ausgesetzt.

Dass der Stadtarchivar bei seiner Spurensuche auf viele Ungeheuerlichkeiten gestoßen ist, zeigte auch die Stille und Konzentration, mit der das Gremium seinen Ausführungen folgte. Wer ist belastet? Was kann als entlastendes Details herangezogen werden? Im Licht der zum Teil neuen Erkenntnisse muss sorgfältig beraten und bald entschieden werden. Dass die Diskussion nun ausgefallen ist, muss der Verwaltung angelastet werden, die dieses sensible und brisante Thema ans Ende einer übervollen Tagesordnung gesetzt hat. Hier fehlte jegliches Fingerspitzengefühl.

Völlig abwegig scheint auch der Vorschlag des Baubürgermeisters, vor einer Beratung im Gemeinderat die unmittelbar Betroffenen einzubinden. Auf die von ihm angeregte Anwohnerbefragung kann getrost verzichtet werden. Erfahrungen aus anderen Städten zeigen, dass hier die Bequemlichkeit überwiegen wird: Die Mehrheit scheut die Mühen einer Adressenänderung und verdrängt die unliebsamen Tatsachen. Es bleibt dabei: Es ist Sache des Gemeinderats. Er muss entschieden, was zu tun ist – und zwar möglichst bald.