Die Schienenstrecke zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt wird wohl vom 12. Mai an ganze elf Wochen lang stillgelegt werden. Auf ein Konzept für einen Ersatzverkehr warten Politik, Rathausverantwortliche sowie Betroffene bis jetzt vergebens.

Rems-Murr : Frank Rodenhausen (fro)

Als ob die Hiobsbotschaft von Anfang März nicht schlimm genug gewesen wäre: Nun müssen sich Pendler zwischen Waiblingen und Stuttgart im öffentlichen Personennahverkehr wohl auf eine noch längere Unterbrechung ihrer gewohnten Beförderung gefasst machen. War in bisherigen Ankündigungen der Deutschen Bahn (DB) von einer Vollsperrung der Schienenstrecke zwischen Waiblingen und Bad Cannstatt in der Zeit zwischen dem 12. Mai und dem 9. Juni die Rede, wird nun eine insgesamt elfwöchige Unterbrechung angepeilt.

 

Vollsperrung bis zum 29. Juli?

Dieser Zeitrahmen jedenfalls ist in einer Pressemitteilung der DB festgehalten, in der diese eigentlich positive Dinge verkünden wollte – nämlich die Entschädigung für alle von den Sperrungen betroffenen Fahrgäste mit einem Jahresticket im Bereich des Verkehrsverbunds Stuttgart. Ihnen soll ein Monatswert des Deutschlandtickets, 49 Euro, erstattet werden. Doch fast beiläufig wird in der Mitteilung auch eine geplante „Sperrung im Bereich Waiblingen/Bad Cannstatt im Zeitraum vom 12. Mai bis 29. Juli 2023“ erwähnt. Auf entsprechende Nachfrage bestätigt eine Bahnsprecherin, dass für diese Zeit mit einem Ersatzkonzept geplant werde – das freilich noch nicht bis ins letzte Detail ausgearbeitet sei. Man arbeite „mit Hochdruck“ daran, könne aber erst informieren, wenn das System verlässlich stehe.

Politiker und Kommunalverantwortliche aus dem Rems-Murr-Kreis sehen indes nicht nur die Dauer, sondern auch den Zeitraum der Sperrungen kritisch. Diese kämen „zu einem üblen Zeitpunkt“, schreiben die CDU-Landtagsabgeordneten Siegfried Lorek (Winnenden) und Christian Gehring (Schorndorf) sowie das CDU-Bundestagsmitglied Christina Stumpp (Waiblingen) in einer gemeinsamen Erklärung. Berufspendler sowie Schüler seien „massiv betroffen“. Laut Informationen der Parlamentarier wird wohl unter anderem ein Engpass bei Baufirmen dafür verantwortlich gemacht, dass es auf einer für den Rems-Murr-Kreis so wichtigen Strecke zu einer Vollsperrung kommt. „Wir hätten erwartet, dass ein deutschlandweit agierendes Unternehmen alle Hebel in Bewegung setzt, um die nötigen Baufirmen zu engagieren“, kritisieren die Abgeordneten. „So eine ,Operation am offenen Herzen’ der Schieneninfrastruktur muss besser gehandhabt werden“.

Ersatzkonzept noch in Arbeit

Schon Mitte März hatten die Oberbürgermeister aus dem Rems-Murr-Kreis in einem Brief an den Stuttgart-21-Projektverantwortlichen Olaf Drescher eine Beteiligung an Gesprächen über die Ausarbeitung eines Ersatzsystems gefordert. In einem Antwortschreiben sei man gebeten worden, Ansprechpartner sowie Unterkunftsmöglichkeiten für Busfahrer zu nennen, sagt der Sprecher der Rathauschefs, der Weinstädter Oberbürgermeister Michael Scharmann nun. Dabei sei es in erster Linie um die Rückmeldung von Baustellen und die Nennung von Möglichkeiten zum Wenden und Abstellen von Bussen gegangen. Details oder gar ein Konzept lägen hingegen nicht vor. Auch dass die Vollsperrung so lange andauern soll, wie jetzt durchgesickert ist, sei nicht kommuniziert worden. „Dies ist mehr als unzufriedenstellend“, sagt Scharmann.

Der Landrat Richard Sigel sieht die Bahn deshalb in der Pflicht: „Was die leidgeplagten Pendlerinnen und Pendler aus dem Rems-Murr-Kreis jetzt brauchen, sind Züge, die fahren, und funktionierende Konzepte für die Zeit der Sperrung. Die Entschädigung, die von der Deutschen Bahn angekündigt wurde, kann nur ein Trostpflaster sein. Den enormen Frust der Pendlerinnen und Pendler wird das kaum lindern.“

Demonstration am Freitag in Stuttgart

Während die CDU-Abgeordneten davon ausgehen, dass Busse die tägliche Auslastung der Schiene von bis zu 60 000 Fahrten kaum werden abfedern können, hofft Gernot Gruber (SPD) in Teilen noch auf über Marbach (Kreis Ludwigsburg) umgeleiteten Zugverkehr. Aber auch bei dem Landtagsabgeordneten aus Backnang, der nach eigenen Angaben seit mehr als 30 Jahren fast täglich Zug und S-Bahn für den Weg zur Arbeit nach Stuttgart nutzt, ist die Frustration groß. Er habe im Lauf der Jahre schon so manche Hiobsbotschaft verdauen müssen, sagt Gruber, aber die „Art der bruchstückhaften und widersprüchlichen Informationen“ ließen auch ihn leider fassungslos zurück.

Andere wollen sich mit der als alternativlos dargestellten Sperrung nicht abfinden. Aus der Anti-Stuttgart-21-Bewegung heraus formiert sich Protest. So ruft ein „Bündnis gegen Streckensperrungen zwischen Bad Cannstatt, Waiblingen und anderswo“ für den kommenden Freitag, 14. April, 18 Uhr, zu einer großen Demonstration vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof auf. Ein begleitender Radkorso startet bereits um 16.45 Uhr in Bad Cannstatt. Die Forderung ist ein sofortiger Stopp der Sperrungspläne. Das Motto: „Wir lassen uns nicht abhängen!“

Harte Zeiten für Pendler

Anlass
 Wegen des digitalen Ausbaus des Bahnknotens Stuttgart sind laut Angaben der Deutschen Bahn umfangreiche Kabeltiefbauarbeiten notwendig. Dafür müssten auch zahlreiche Gleise und andere Bahnanlagen unterquert werden.

Auswirkungen
 Die Bahn hat auf verschiedenen Strecken Einschränkungen angekündigt. Die ersten werden im Rems-Murr-Kreis bereits von Freitag, 21. April, an spürbar sein. Die S-Bahn-Linien 1 bis 3 werden auf den Halbstundentakt reduziert. Bei der S 4 entfallen bis zum 25. April die Fahrten zwischen Backnang und Marbach, auch der MEX zwischen Waiblingen und Stuttgart fällt in diesem Zeitraum aus. Für beide Strecken ist ein Busersatzverkehr geplant. Die größten Ausfälle wird es vom 12. Mai bis 29. Juli geben, wenn die Strecke zwischen Waiblingen und Bad-Cannstatt komplett unterbrochen wird. Ein Ersatzkonzept liegt dafür bisher noch nicht vor.