Eine Gruppe von Stuttgartern will die Bahn zwingen, die Streckenführung des S-21-Fildertunnels zu ändern. Stein des Anstoßes ist der Umstand, dass die unterirdische Trasse direkt den Fernsehturm unterquert.

Stuttgart - Eine Gruppe von Stuttgarter Bürgern will mit einer öffentlichen Kampagne die Bahn dazu zwingen, die Streckenführung des S-21-Fildertunnels zu ändern. Stein des Anstoßes ist der Umstand, dass die unterirdische Trasse, die auf 9,5 Kilometern vom neuen Tiefbahnhof auf die Filderebene führt, direkt den Fernsehturm unterquert – zwar in mehr als 220 Metern Tiefe, aber im unausgelaugten, anhydritführenden Gipskeuper, der aufquellen kann, wenn er mit Wasser in Berührung kommt. Selbst wenn das Risiko für den Turm gering wäre, sagt der Diplom-Ingenieur Klaus Gebhard, könne eine Trasse mit einem Sicherheitsabstand zum Turm mit minimalen baulichen Mehraufwand auch jetzt noch gebaut werden. Schließlich gehe es um das Wahrzeichen Stuttgarts.

 

Die Bahn weist diese Einschätzungen zurück. „Die Stuttgarter können mit Blick auf den Fernsehturm völlig beruhigt sein: Eine Gefahr für das Auftreten von Hebungen besteht nicht“, sagt Professor Dr.-Ing. Walter Wittke, der Sachverständige der Projekt-GmbH. Durch den Entwurf und Bau müsse sichergestellt werden, dass in Tunnellängsrichtung kein Wasser in das quellfähige Gebirge eintreten könne. Dazu dienten Abdichtungsbauwerke, die mehrfach der Öffentlichkeit vorgestellt worden seien.

Die Anwohner informieren

Gebhard und seine Mitstreiter Katharina Georgi, Klaus Tochtermann und Uwe Dreiss hoffen, mit öffentlichem Druck die Bahn dazu bewegen zu können, die Pläne auch jetzt noch zu ändern. Unter der in der Nacht zum Samstag freigeschalteten Online-Adresse www. fernsehturmfreunde.de informieren sie über ihr Anliegen, vom Wochenende an werden Flyer in Degerloch, Sillenbuch und Gänsheide in die Briefkästen gesteckt. „Wir haben viele Leute gefragt, aber niemand weiß, dass der Tunnel direkt unter dem Fernsehturm verläuft“, sagt Katharina Georgi.

Ein Geheimnis, das räumt auch die Gruppe ein, macht die Bahn daraus aber nicht. Sowohl auf der Internetseite des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm als auch unter www.biss21.de, dem kartenbasierten Bürgerinformationssystem über den Verlauf der Tunnels, ist zu erkennen, dass der Fernsehturm exakt über dem künftigen Tunnel steht. Sogar ein Rettungsstollen, das sind Durchgänge, die alle 500 Meter die Flucht von einer in die andere Röhre ermöglichen, ist direkt unter dem Turm geplant. Unbestritten ist auch, dass der Fildertunnel in diesem Bereich rund 220 Meter tief unter der Erdoberfläche liegt, in 185 Meter Tiefe beginnt der quellfähige Gipskeuper.

Die Rede ist von einem Restrisiko für den Turm

Das Fundament des 217 Meter hohen Fernsehturms hat einen Durchmesser von 27 Metern und reicht 7,5 Meter ins Erdreich. Auch eine nur geringe Anhebung um zehn Zentimeter könne an der Turmspitze zu einer beträchtlichen Neigung führen, sagt Gebhard. Er verweist darauf, dass bei Erdwärmebohrungen (beispielsweise im südbadischen Staufen) Hebungen von mehr als 50 Zentimeter gemessen werden (bei einer Tiefe der Bohrung von rund 100 Metern). Auch in der Fachliteratur werde immer wieder auf die Risiken hingewiesen – und darauf, wie schwer verlässliche Voraussagen seien.

„Wir müssen von einem Restrisiko ausgehen“, sagt Gebhard, das aus seiner Sicht leicht zu vermeiden wäre. Man müsste die Trasse nur rund 250 Meter vom Turm wegrücken, was den rund 9,5 Kilometer langen Fildertunnel nur um 70 Meter verlängern würde. Dies hätte zudem den Vorteil, dass weniger Wohnhäuser in Degerloch untertunnelt würden. Die Bahn, so vermutet Gebhard, habe den einfachsten Weg gewählt und einfach das Lineal angelegt: „Der Verlauf des Tunnels orientiert sich an der Luftlinie und wurde im Rahmen zahlreicher Untersuchungen zu seiner heutigen Form geführt“, heißt es auf der Internetseite des Bahnprojekts.

Probleme mit aufquellendem Gestein

Im Genehmigungsverfahren für den Fildertunnel ist der Bau in der mächtigen Schicht des unausgelaugten, anhydritführenden Gipskeupers mehrfach erwähnt – und die daraus resultierenden Vorsichtsmaßnahmen. So werden rund 1,15 der insgesamt 2,3 Kilometer, die im quellfähigen Gipskeuper verlaufen, nicht von der Tunnelvortriebsmaschine gegraben, sondern in klassischer bergmännischer Bauweise. „Wasserführende Schichten haben von den Firsten der Tunnelröhren einen Abstand von mehreren Tunneldurchmessern“, sagt Wittke, „Wasser kann somit von oben nicht bis zum Tunnel vordringen.“ Beim Bau der Wendeschleife der S-Bahn Stuttgart unter dem Hasenberg habe sich gezeigt, dass „der Tunnel auch bei einem wesentlich geringeren Abstand zu den wasserführenden Schichten trocken geblieben ist.“

Dreiss, Georgi, Gebhard und Tochtermann verweisen hingegen auf die Beispiele des Wagenburg- und des Engelbergtunnel, bei denen es Probleme mit aufquellendem Gestein gebe. Gebhard zitiert dazu aus einem Papier der Materialprüfungsanstalt Stuttgart zu den Vorgängen in Staufen: „Verlässliche Voraussagen . . . sind in der Praxis nicht möglich, weil sich maßgebende Faktoren einer Erkundung und Quantifizierung entziehen“.