Die Deutsche Bahn kennt die massiven Abnutzungsprobleme an der ICE-Strecke Hannover-Kassel seit mindestens sieben Jahren. Trotzdem wurde die Grundsanierung aus Kostengründen immer wieder aufgeschoben. Das Eisenbahnbundesamt duldet das nun nicht länger.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Deutsche Bahn (DB) kennt die Abnutzungsprobleme an der ICE-Strecke Hannover-Kassel seit mindestens sieben Jahren. Trotzdem wurde die notwendige Grundsanierung aus Kostengründen immer wieder aufgeschoben, bis die Aufsichtsbehörde die notdürftige Flickerei nicht mehr duldete und ein aufsichtsrechtliches Verfahren gegen den Staatskonzern einleitete. Das haben Recherchen unserer Redaktion ergeben.

 

Mit der ICE-Strecke Kassel-Hannover musste in den vergangenen beiden Wochen überraschend eine der wichtigsten Nord-Süd-Schienenverbindungen gesperrt werden. Dies führte bundesweit zu Verspätungen im Schienenverkehr und verärgerte viele Reisende. Die DB behauptet, man habe erst kurzfristig durch Gutachten vom dringenden Sanierungsbedarf an der mehr als 25 Jahre alten Strecke erfahren.

Entgleisungen drohen

Demnach bröselt der Schotter unter den Schwellen wegen der ständigen Belastungen und Erschütterungen durch Hochgeschwindigkeitszüge am Tag und schwere Gütertransporte in der Nacht. Schotter und Schwellen verlieren an Halt und so können sich besonders bei höheren Temperaturen die Stahlgleise zu stark verschieben und Entgleisungen drohen. Pro Tag befahren die für Tempo 280 ausgelegte Strecke bis zu 170 Personen- und Güterzüge.

Der bröselnde Unterbau ist nach den Informationen unserer Redaktion allerdings schon seit mindestens sieben Jahren bekannt. Schon damals wurden an Gleisabschnitten zunehmend weiße Stellen festgestellt, die durch Abrieb des Schotters entstehen und auf eine verringerte Stabilität hindeuten. Darauf habe man diverse Untersuchungen und Messungen veranlasst, erklärt die bundeseigene DB Netz AG, die das Schienennetz betreibt und in Ordnung halten soll.

Peinliche Verfahren

Nach Darstellung der Bahntochter sei die Grundsanierung aber bisher „nicht erforderlich“ gewesen, weil man ausreichende Instandhaltungsmaßnahmen umgesetzt habe. Allerdings verlangte das Eisenbahnbundesamt (Eba) schon vor vier Jahren nachhaltigere Maßnahmen wie den aufwendigen Schotteraustausch auf den schon damals von weißen Stellen stark betroffenen Abschnitten.

Die Bahn schob die teure Grundsanierung immer wieder auf, bis die Eba-Kontrolleure die Geduld verloren durchgriffen. Seit dem Sommer 2015 sei man wegen der Schotterprobleme zwischen Hannover und Göttingen „aufsichtsrechtlich tätig“, teilte die Eba-Außenstelle Hannover unserer Redaktion mit. Im Oktober 2015 habe das Eba zudem „ein offizielles Anhörungsverfahren bei der DB Netz AG zur Behandlung des Oberbaus im o.g. Streckenabschnitt eingeleitet“.

Für die Infrastrukturmanager von DB-Vizechef Volker Kefer, in dessen Zuständigkeit das 34.000 Kilometer lange bundeseigene Schienennetz fällt, sind solche Verfahren mehr als peinlich. Die Zuverlässigkeit des Staatskonzerns als sicherer Betreiber, der alle Anlagen in Ordnung halten soll und dafür jedes Jahr viele Steuermilliarden erhält, steht auf dem Prüfstand - und in Frage, wenn Strecken erst auf den Druck der Kontrollbehörde hin saniert werden.

Die Aufsichtsbehörde, die dem Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt unterstellt ist, geht mit Auskünften sparsam um. Man habe „keinen Anlass, anzunehmen, dass das Unternehmen seiner Betreiber-Verantwortung nicht gerecht würde“, sagt ein Eba-Sprecher. Die DB Netz AG habe auf den festgestellten Instandhaltungsbedarf „bislang mit betrieblichen Sofortmaßnahmen und punktuellen Ausbesserungen reagiert“. Mit der Sanierung werde nun der Schotteroberbau verbessert. Die Bahn sei aufgefordert worden, über die weitere Entwicklung zu berichten.

Aufschub nicht mehr dulden

Der Sprecher versichert zudem, das Eba habe „weder Anordnungen getroffen noch angekündigt“. In Bahn- und Regierungskreisen ist es jedoch kein Geheimnis, dass die Aufseher dem Konzern bereits signalisiert hatten, dass man einen weiteren Aufschub bei der Grundsanierung nicht mehr dulden würde, nachdem im Anhörungsverfahren die Protokolle zu den Streckenkontrollen sowie die Antworten der DB auf umfangreiche Fragenkataloge ausgewertet worden waren.

Das Eba hätte aus Sicherheitsgründen kurzfristig Tempolimits für alle Züge auf den betroffenen Abschnitten anordnen können. Das hätte die Fahrpläne bundesweit und monatelang noch viel stärker durcheinander gebracht. Deshalb musste die DB-Spitze handeln und die extrem kurzfristige Vollsperrung vornehmen, damit auf rund 30 Kilometern mehr als 130 000 Tonnen Schotter ausgetauscht werden können. Die Kosten belaufen sich auf mindestens 15 Millionen Euro, wie die DB Netz unserer Redaktion bestätigte.