Street-Art in Stuttgart Der Kunstwelt einen Spiegel vorhalten

Ob Styropor, Pappe oder Legosteine - Peter Kosock macht daraus Kunst für den öffentlichen Raum. Ein Porträt über den Stuttgarter Street-Art Künstler.
Stuttgart - „Das hängt ja immer noch da. Wundert mich ja, dass es noch niemand abgerissen hat.“ Gemeint ist eines seiner Styropor-Bilder, das Peter Kosock gerade mit nach oben gerichtetem Blick, fixiert. Sein Kunstwerk zeigt eine zusammengekauerte Gestalt mit angezogenen Knien und einem rosa Schnuller im Mund. Das „Amy Winehouse Baby“, eine von Kosocks Eigenkreationen. Warum gerade Amy Winehouse? „Weiß ich auch nicht so genau, ich bin nicht mal ein großer Fan von ihr.“ Trotzdem hängt Klein-Amy am Eingang der Unterführung zur S-Bahn Haltestelle Stadtmitte in Stuttgart und schaut auf die Passanten herab, die Peter Kosocks Styropor-Baby im Moment aber keinerlei Beachtung schenken.
Peter Kosock heißt eigentlich gar nicht Peter Kosock, diesen Namen benutzt er nur in der Kunstwelt. Bilder von ihm gibt es nur wenige, und wenn zeigen diese Peter nur von hinten oder mit verfremdetem Gesicht. Er ist Anfang 30, groß, hat dunkelblonde Haare und stammt ursprünglich aus Halle in Sachsen-Anhalt. In Stuttgart lebt er bereits seit 16 Jahren. Ursprünglich zog es ihn damals wegen der Arbeit in die Kesselstadt am Neckar, dann ist er einfach geblieben. Warum weiß er selber nicht so genau.
Seine Anfänge liegen, wie bei vielen Street-Art-Künstlern, in der Graffiti-Szene. Mit zwölf Jahren fängt er an zu malen. „In meiner Heimat konnten wir uns damals sehr frei entwickeln. Nach der Wende gab es überall leer stehende Lagerhallen oder Firmengebäude. Dort haben wir geübt. Diesen Vorteil haben die Jüngeren heute nicht mehr.“
Auf einem Spaziergang durch die Straßen der Stuttgarter Innenstadt erzählt er von seiner Kunst und was sie für ihn bedeutet, von den Besonderheiten der Street-Art und der Stuttgarter Szene.
Der Künstler Kosock
Street-Art in Stuttgart ist durchaus vielfältig, erzählt Kosock während er durch die Straßen läuft. Eine Technik sticht dabei aber besonders heraus: „Viele arbeiten hier mit der sogenannten Stencil-Art“, weiß der Street-Art Künstler. Dabei werden im Vorfeld Schablonen mit unterschiedlichen Motiven designt. Diese muss man dann nur noch mit Sprühdosen an die Wand bringen. Daneben gibt es aber noch viele andere Arten seine Kreativität auszuleben, auch mit ungewöhnlichen Materialien. „Man kann beispielsweise auch mit Moos malen. Wenn das in Form eines Schriftzuges oder eines Symbols angeordnet wird und dann die Sonne drauf scheint, wächst daraus ein Bild.“ Er selbst hat schon viele Materialien für seine Werke verwendet. Ob Pappe, Folien, Styropor, Holz oder Legosteine, Peter Kosock probiert gern Neues aus und entwickelte sich weiter.
Die verschiedenen Techniken und die ungeheure Vielfalt, die der Street-Art innewohnt, begeistert Kosock: „Auch wenn Street-Art letztendlich aus Graffiti entstanden ist, benutze ich weit mehr als nur die Dose zum Malen. Meistens verwende ich unterschiedliche Werkzeuge wie Acrylfarben, Pinsel oder Edding-Marker.“ Mit dieser Freude am Ausprobieren und Entwickeln kommt er allerdings nicht überall gut an. Vor allem bei den Sprühern in der Graffiti-Szene, für die Sprühdosen das etablierte Werkzeug sind, stößt er auf Ablehnung. „Wenn ich auf einem Event unter Graffiti-Sprühern meine Kunst mache und dabei Pinsel oder Schablonen benutze, werde ich schon schief angeschaut. Schablonen sind in der Graffiti-Szene verpönt. Dabei kann ich genauso gut mit meinem Pinsel malen wie ein Sprüher mit seiner Dose. Mir geht es aber darum, an meiner Technik zu arbeiten und neue Dinge auszuprobieren.“
Wie bei fast jeder geleisteten Pionierarbeit, egal auf welchem Feld diese eingesetzte wird, trifft der Ausführende mit großer Wahrscheinlichkeit auf Widerstand: „Neue und innovative Dinge sind nicht immer gleich cool. Am Anfang sind erst mal immer alle dagegen. Bis Einige dann diese neuen Dinge ausprobieren und sich denken, Mensch das ist ja doch ganz cool. Als Einstein mit seiner Relativitätstheorie kam dachten auch viele, der spinnt der Vogel.“
Hilfe aus dem Baumarkt
Am meisten Spaß machen Peter Kosock aktuell seine Styropor-Bilder, wie das „Amy Winehouse-Baby“. „Am Anfang habe ich meine Bilder immer aus Pappe mit einem Cutter-Messer ausgeschnitten und mir dabei einen ab gefummelt. Mit Styropor als Basismaterial kann ich alles viel größer und schöner gestalten.“ Sein Material dafür bekommt er aus dem Baumarkt um die Ecke. Die handwerkliche Beratung der Mitarbeiter dort gibt es gratis oben drauf. „Die sagen mir dort auch gleich, ob ich mit Spachtelmasse, Silikonkleber oder Acrylpaste das Beste Haftungsergebnis bei Styropor erziele. Mit diesem Know-How kann kein Bastelladen glänzen“.
Seine erste Ausstellung in Stuttgart fand vor zehn Jahren in der Staatsgalerie statt, damals noch ohne Hilfe aus dem Baumarkt. Inzwischen war seine Kunst schon an vielen Orten, wie Berlin oder Amsterdam. Zuletzt konnte man seine Arbeiten Mitte Januar im Stuttgarter Amtsgericht bei „Kunscht – Die Ausstellung für junge schwäbische Kunst“ bewundern. Dabei hat Peter Kosock aber gemerkt, er als Street-Artist, unterscheidet sich stark von den anderen Künstler bei solchen Ausstellungen: „Ich will auch gar nicht so sein wie die. Denen geht es nur darum, den Leuten zu gefallen. Viele Klicks und viele Hände schütteln, das ist doch Blödsinn.“ An sich selbst und an seine Kunst stellt Kosock hohe Ansprüche. Es geht ihm in erster Linie um Weiterentwicklung. Zum einen die Entwicklung seiner künstlerischen Arbeit, gleichzeitig will er während dieses Prozesses auch in charakterlicher Hinsicht wachsen. „Das letzte was ich möchte, ist stehen zu bleiben.“
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