Fast 100 Bäcker und Bäckerinnen der Firma Lieken in Bietigheim-Bissingen haben heute gestreikt. Sie möchten mehr Lohn und beschweren sich über harte Arbeitsbedingungen.

Volontäre: Frederik Herrmann (hef)

Für viele Bäcker fängt der Tag früh an – oft arbeiten sie die ganze Nacht. Ein harter Job, nicht nur wegen der Arbeitszeiten, sagt Oliviero Ferretti, Gewerkschaftssekretär der NGG für die Region Stuttgart. Wegen der großen Maschinen herrsche häufig eine enorme Lautstärke. Die Folgen seien gravierend: „Viele Kollegen erleiden Hörstürze“, so Ferretti. Eine angemessene Entlohnung sei daher das Mindeste. Die gebe es jedoch nicht – deshalb hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätte (NGG) unter anderem in Bietigheim-Bissingen zum Warnstreik aufgerufen

 

Dort ist die Großbäckerei Lieken betroffen. Der Konzern gehört zu den größten industriellen Backwarenhersteller in Deutschland. Das Unternehmen produziert vor allem Brot, Brötchen und Backwaren für den Lebensmitteleinzelhandel und ist bekannt für die Marke Golden Toast. Bietigheim-Bissingen ist einer von neun Standorten.

Rund 80 bis 90 Beschäftigte legten dort am Mittwoch zwischen 11 und 17 Uhr die Arbeit nieder. Mit Pfeifen und Rauchfackeln machten sie vor dem Werkstor auf ihre Forderungen aufmerksam.

6,5 Prozent mehr Lohn

„Wir verlangen 6,5 Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten, 100 Euro mehr für Auszubildende und die Fortführung der tariflichen Übernahmeregelung“, erklärt Magdalena Krüger, Geschäftsführerin der NGG-Region Stuttgart. Denn im Durchschnitt verdienen die Mitarbeitenden bei Lieken in Bietigheim-Bissingen zwischen 3200 und 3300 Euro brutto – darunter auch viele, die eine Ausbildung abgeschlossen haben. Etwa 30 Prozent der Beschäftigten seien ausgebildete Fachkräfte, so Ferretti. Zusätzliches Geld verdienen sie durch Überstunden oder Zulagen im Schichtsystem.

Etwa hundert Mitarbeiter haben in Bietigheim-Bissingen ihre Arbeit niedergelegt. Foto: Simon Granville

Während die Frühschicht um 6 Uhr beginnt, arbeiten andere durchgehend von 22 Uhr bis zum nächsten Morgen. Der zusätzliche Lohn durch die Nachtschicht hat jedoch seinen Preis: Viel Freizeit bleibe bei einem solchen Schichtsystem kaum, so Ferretti.

Anlass des Arbeitskampfs war die enttäuschende erste Verhandlungsrunde im Mai. Das Angebot der Arbeitgeberseite: 2,3 Prozent mehr Lohn ab März 2025, weitere 2,2 Prozent ab März 2026 – bei einer Laufzeit von 24 Monaten. Aus Sicht der Gewerkschaft ist das völlig unzureichend.

In vielen Bäckereien herrscht Fachkräftemangel

Krüger warnt: „Die Branche steht unter Druck. Es wird immer schwieriger, Nachwuchs für diese anstrengende Arbeit zu gewinnen.“ Wer nicht fair bezahlt, dürfe sich nicht wundern, wenn sich niemand mehr findet, der früh aufsteht, Mehl knetet und Maschinen bedient.

Auch Ferretti zeigt sich besorgt: „Deutschland steht für Brot – das zeichnet unser Land aus.“ Es tue ihm in der Seele weh, zu sehen, wie immer mehr Bäckereien schließen müssten, weil sie keinen Nachwuchs fänden oder niemanden, der das Geschäft übernehmen wolle.

Auch in anderen Betrieben wird gestreikt

Nicht nur in Bietigheim-Bissingen wurde gestreikt: Auch die zweite Produktionsstätte von Lieken in Crailsheim (Baden-Württemberg) war betroffen. In Hessen legten Beschäftigte bei Glockenbrot in Frankfurt und bei Erlenbacher Backwaren in Groß-Gerau die Arbeit nieder.

Es ist nicht der einzige Arbeitskampf, den die NGG derzeit führt. Auch beim Dönerfleisch-Hersteller Birtat in Murr, dem größten seiner Art in Deutschland, streikten Ende Mai Beschäftigte für höhere Löhne.