Die Busse und Bahnen in Stuttgart sollen von Donnerstag an wieder weitgehend regulär fahren. Danach hat es lange nicht ausgesehen.  

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Wie gewohnt sind die Fahrer der SSB am Dienstag ab drei Uhr in der Früh zum Dienst angetreten. Dort wurde ihnen auf einem Aushang mitgeteilt, dass das Unternehmen bis Freitag zum Dienstschluss auf ihre Arbeitskraft verzichtet. Der Streik insbesondere in den Werkstätten "hindert die SSB leider daran, die nachstehend näher bezeichneten Fahrdienstmitarbeiter einsetzen zu können, da der Fahrbetrieb eingestellt ist", heißt es in dem Schreiben des SSB-Vorstands. Für diese Mitarbeiter "entfällt deshalb die Pflicht zur Entgeltzahlung durch die SSB AG, solange das zuvor beschriebene Einsatzhindernis besteht und streikbedingt der Arbeitsablauf nicht mehr gesichert ist". Und dann konnten die Beschäftigten noch lesen, dass für diese Zeitdauer auch keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet werde.

 

Die Antwort von Verdi lässt nicht lange auf sich warten. "Dies ist ein skandalöser Vorgang", moniert Bernd Riexinger, der Verdi-Bezirksgeschäftsführer. Erstmals im öffentlichen Dienst würden Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber daran gehindert, ihre Arbeit aufzunehmen. Er habe Oberbürgermeister Schuster als Vorsitzenden des SSB-Aufsichtsrats schriftlich aufgefordert, den Vorstand "auf den Weg der Vernunft zurückzubringen".

Dieser Einsatz hat offenbar Erfolg. Denn am Nachmittag teilt das Unternehmen nach mehrstündigem Ringen mit der Gewerkschaft mit, dass von Donnerstag an wieder alle SSB-Busse und Stadtbahnen, einschließlich Zahnradbahn und Seilbahn, fahren können. Ermöglicht werde dies durch eine erweiterte Notdienstvereinbarung. Die täglichen sicherheitsrelevanten Kontrollen der Fahrzeuge könnten wieder durchgeführt werden. Demnach steht nun zusätzliches Personal in den Werkstätten bereit, um alle notwendigen Überprüfungen, die Betankung der Busse und die Befüllung der Straßenbahnbremsen mit Sand zu erledigen. "Gut, dass der SSB-Vorstand zur Vernunft gekommen ist", jubiliert daraufhin Verdi-Verhandlungsführer Rudolf Hausmann. Man habe "extra sanft" streiken wollen, um die Pendler nicht so zu treffen. Doch die Stuttgarter Straßenbahn-AG zeige "das schlimmste Gesicht seit 65 Jahren".

Der Notdienst kontrolliert an Streiktagen die Fahrzeuge

250 SSB-Beschäftigte der Werkstätten, der Kundenzentren und des zentralen Servicedienstes beteiligten sich am Dienstag am Ausstand. Vorsorglich hatte das Unternehmen etwa 240 Busse und 150 Züge stehenlassen. "Die Streikenden sind hell empört über den Vorstand", klagte Ursula Schorlepp, Gewerkschaftssekretärin im Bereich Verkehr, am Vormittag. Dass wegen des Streiks die Sicherheit der Busse und Bahnen nicht mehr gewährleistet sei, "ist eine glatte Lüge", stellt sie fest. Verdi habe herausgefunden, dass "die Fahrzeuge zu 95 Prozent in einem Zustand sind, dass sie fahren können". Folglich handele es sich um eine "reine Willküraktion" des Vorstands.

Verdi wertet das Vorgehen der Arbeitgeber zudem als "deutliches Zeichen", dass ihre bisherige Streiktaktik die Gegenseite empfindlich getroffen habe. "Als Folge bestreikt die SSB nun sich und die Bevölkerung selbst, um die Öffentlichkeit gegen die Beschäftigten aufzubringen", sagte Riexinger.

Für Mittwoch bleibt es bei der bekannten Kampfstrategie: Demzufolge ruft Verdi auch die 1200 bei ihr organisierten SSB-Fahrer zum Streik auf. Lohnabschläge für den Dienstag sollen die Chauffeure aber nicht hinnehmen. Schließlich hätten sie ihre Arbeitskraft angeboten. Das Unternehmen sei verpflichtet, das Gehalt weiter zu zahlen, sagt Schorlepp. Deswegen würden die streikenden Fahrer mit Formblättern angehalten, ihre Ansprüche geltend zu machen.

„Hier sind die Beschäftigten kampfbereit und kampffähig“

Auch in Freiburg, Karlsruhe, Heilbronn, Konstanz und Baden-Baden legen die Belegschaften der Verkehrsunternehmen am Mittwoch ihre Arbeit nieder. Desgleichen in Esslingen: die streikbedingte Standzeit von einem Tag gefährde die Verkehrssicherheit der Dieselbusse und des elektrischen Oberleitungsbusses nicht, sagt der Werksleiter der Esslinger Verkehrsbetriebes (SVE), Mickaél Pandion, in aller Gelassenheit. Etwa 50 Prozent der Linien im Stadtgebiet würden ohnehin von privaten Unternehmen unterhalten.

Während es im Lande somit weiter geordnet zugeht, bleibt Stuttgart die Hochburg der Auseinandersetzung: "Die SSB AG ist mit 2700 Beschäftigten das größte Nahverkehrsunternehmen in Baden-Württemberg", sagt Schorlepp. "Hier sind die Beschäftigten kampfbereit und kampffähig." Und der Arbeitgeber halte dagegen.

Dies werden sie auch am Verhandlungstisch tun: Donnerstagnachmittag wird der Tarifpoker fortgesetzt. Eine Delegation der Streikenden will die Arbeitgeber am Waldaupark in Empfang nehmen. Sollte eine Einigung nicht gelingen, wäre theoretisch ein Vermittlungsverfahren möglich. Es gibt zwar kein Schlichtungsabkommen - anders als sonst im Öffentlichen Dienst -, dennoch sind die Tarifparteien so frei, über eine Schlichtung zu befinden. Die Arbeitgeber sind dafür - Verdi hingegen hat Einwände. Der zentrale Grund: nach Anrufung des Schlichters herrscht erst einmal Friedenspflicht - der Streik würde ausgesetzt. Noch sieht die Gewerkschaft dazu keine Veranlassung.

Mit unserer Aktion mit dem Roten Punkt wollen wir Pendlern helfen, trotz des Streiks pünktlich ans Ziel zu kommen.

Weitere Informationen zum Streik

Die Forderungen der Gewerkschaft

Manteltarif Verdi Baden-Württemberg und der kommunale Arbeitgeberverband (KAV) verhandeln nicht über Lohnsteigerungen, sondern über den Manteltarifvertrag im baden-württembergischen Nahverkehr. Betroffen sind bis zu 8000 Beschäftigte.

Wegezeiten Konkret fordert Verdi etwa eine Anhebung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes auf 100 Prozent. Zudem sollen die Wegezeiten von der Endhaltestelle bis zum Privat-Pkw berücksichtigt werden, wenn er zu Schichtbeginn andernorts geparkt wurde.

Autonomie Zentrale Forderung ist die Abkopplung des Nahverkehrs aus der Tarifgemeinschaft des öffentlichen Dienstes. Zudem will Verdi einen Bonus für ihre Mitglieder durchsetzen. Dazu sollen jeden Monat 50 Euro in die Altersversorgung gehen.