Mit sechs Tagen Streik im Weihnachtsgeschäft hat Verdi den Onlinehändler Amazon gehörig unter Druck gesetzt. Jetzt ist erst einmal Pause - aber nicht für lange.

Mit sechs Tagen Streik im Weihnachtsgeschäft hat Verdi den Onlinehändler Amazon gehörig unter Druck gesetzt. Jetzt ist erst einmal Pause - aber nicht für lange.

 

Bad Hersfeld/Leipzig - Nach sechs Tagen Dauerstreik wollen Beschäftigte des Online-Versandhändlers Amazon ihren Ausstand in Bad Hersfeld und Leipzig vorerst beenden.

Über diese Woche hinaus gibt es nach Angaben der Gewerkschaft Verdi noch keine kurzfristigen Pläne zur Fortsetzung des Protestes. Die Gewerkschaft teilte aber mit, dass sich der US-Branchenriese im kommenden Jahr auf erneute Streiks gefasst machen müsse.

Die nächste Möglichkeit, Amazon durch Störaktionen an den Verhandlungstisch zu bewegen, bietet sich Verdi direkt nach Weihnachten. Dann steht dem weltgrößten Versandhändler das Umtauschgeschäft für Fehlkäufe der Kunden bevor.

Ziel des Ausstands ist ein Tarifvertrag nach den Bedingungen des Einzel- und Versandhandels. Amazon lehnt dies strikt ab und orientiert sich an den günstigeren Konditionen der Logistikbranche. Seit Monaten kommt es deswegen immer wieder zu Streiks. Im laufenden Weihnachtsgeschäft hat die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreicht.

Gysi will vermitteln

Der Linken-Politiker Gregor Gysi hat sich nun als Vermittler in dem Tarifkonflikt angeboten. Gysi besuchte am Freitag die Streikenden in Leipzig. Der gelernte Jurist sei bereit, nach Seattle zu reisen und zu vermitteln. Bedingung sei aber, dass der US-Branchenriese zu Zugeständnissen bereit sei. Amazon sieht aber laut Deutschland-Chef Ralf Kleber keinen Anlass für Gespräche. Gysi schimpfte: „Es ist eine Frechheit, nicht mit den Gewerkschaften zu verhandeln, wir leben nicht mehr im 19. Jahrhundert.“

Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi mehren sich die Anzeichen, dass etliche Amazon-Kunden Mails bekommen mit Hinweisen auf eine verzögerte Lieferung. „Betroffen sind nach unseren Kenntnissen mehrere Tausend Lieferungen pro Tag“, sagte Heiner Reimann von Verdi Hessen. „Wir können und wollen nicht ausschließen, dass dies auch mit den Streiks an Amazon-Standorten in Deutschland zusammenhängt.“

Amazon: Streiks sorgen nicht für Lieferverzögerungen

Eine Amazon-Sprecherin in München dagegen erklärte: „Die Ankündigungen sind nicht auf die Streiks zurückzuführen. Das hat etwas mit der Warenbeschaffung im allgemeinen zu tun, nicht mit der Logistik.“ Gründe dafür könnten sein, dass Artikel aufgrund hoher Nachfrage ausverkauft sind oder Lieferanten nicht so schnell wie erwartet Ware beziehen können. Generell wolle Amazon aber sein Lieferversprechen einhalten. Der Versandhändler verlängerte seine Zusage um zehn Stunden: Wer bis Samstag 10 Uhr bestelle, bekomme seine Ware bis Weihnachten. Danach gebe es noch Express-Optionen.

Amazon sieht sein Weihnachtsgeschäft nicht beeinträchtigt: Am bisherigen Rekordtag, dem 15. Dezember, seien 4,6 Millionen Produkte bestellt worden - 15 Prozent mehr als im vergangenen Jahr. „Von Beginn an streikte nur eine kleine Minderheit der Mitarbeiter“, teilte das Unternehmen am Abend mit, laut Amazon rund 900 der circa 23.000 Angestellten. „Die überwältigende Mehrheit unserer Mitarbeiter ist mit vollem Einsatz bei der Sache.“ In Leipzig hätten am Freitag 700 Mitarbeiter Pro-Amazon-Unterschriften abgegeben.

Handelsfachmann Gerrit Heinemann, Professor an der Hochschule Niederrhein, sagte: „Es ist glaubhaft, wenn Amazon mitteilt, dass die Streiks keine Auswirkungen auf den Versand an Kunden haben. Dass in Einzelfällen dennoch Warensendungen nicht rechtzeitig ankommen, ist auch normal. Eine Quote für eine rechtzeitige Lieferung von mehr als 98 Prozent ist erfahrungsgemäß gar nicht möglich.“ Für Amazon sei es ohnehin leicht gewesen, sich auf die Streiks einzustellen. In dieser Saison hat Amazon zu seinen 9000 Mitarbeitern in den acht Lagern bundesweit noch 14.000 Aushilfen engagiert. Heinemann kritisierte, die Streiks seien kontraproduktiv: „Langfristig sehe ich durch den Streik zwei Folgen. Erstens: Amazon wird verstärkt auf die drei Lager setzen, die gerade in Polen an der Grenze zu Deutschland gebaut werden. Zweitens: Amazon wird künftig weitgehend automatisierte Lager aufbauen“, sagte der Experte. Die Streiks würden diese Entwicklung beschleunigen.