Der Parteitag der AfD in Kalkar, mit hohem Aufwand mitten in der Pandemie organisiert, sollte doch ein wichtiges Signal der Einigkeit aussenden. Nach außen wollte die AfD zeigen, dass sie in der Lage zu seriöser Sachpolitik ist. Endlich, im achten Jahr ihrer Gründung wollte sie die Lücke in ihrem Programm schließen und ein Konzept zur Sozialpolitik vorlegen. Das sollte ein Beweis dafür sein, dass diese Partei konstruktiv agieren kann, wenn sie will. Ein Parteitag ohne großen Streit, höchstens mit ein bisschen Fingerhakelei.
Die Wähler geben der Partei nicht wegen ihrer Rentenpolitik die Stimme
Wie Fugenkitt sollte der Kompromiss auch nach innen die tiefen Risse fürs Erste zukleistern, die sich inzwischen zeigen. Das Konzept ist ein Sammelsurium, aus dem sich jeder etwas rauspicken kann – der national-soziale Flügel des extrem rechten Björn Höcke ebenso wie der eher wirtschaftsliberale um Jörg Meuthen. Der Kompromiss war klug, denn: Die Wähler, welche die AfD bei der Bundestagswahl mobilisieren will, werden sich nicht wegen eines Rentenkonzepts für oder gegen die Rechtsaußenpartei entscheiden.
Und Mobilisierung tut not. Denn die AfD ist auf mehreren Ebenen in Bedrängnis. Es ist wahrscheinlich, dass der Verfassungsschutz die Partei bald unter Beobachtung nimmt. Das wird Zustimmung und Vertrauen kosten. Ohnehin befindet sich die Partei seit Beginn der Pandemie in der Wählergunst auf dem tiefsten Stand seit dreieinhalb Jahren. In Coronazeiten kann die AfD zum ersten Mal nicht von einer äußeren Krise profitieren. Zu lange fand sie keine Strategie. Dabei ist das Feld wie für die AfD gemacht: Die Republik erlebt bisher ungekannte Grundrechtseinschränkungen, Menschen haben zu Recht Existenzängste, sind in ihrer persönlichen Freiheit enorm eingeschränkt.
Die Partei ist mit sich selbst beschäftigt
Aber die Partei ist – wieder einmal – mit sich selbst beschäftigt. Seit Monaten tobt ein Machtkampf. An der Spitze werden Meuthen und Tino Chrupalla keine Freunde mehr, seit Meuthen mit einem demonstrativen Säuberungskurs begonnen hat. Auch in der Bundestagsfraktion zerfällt die Autorität an der Spitze. So traut sich der radikal rechte Teil der Partei, immer ungehemmter aufzutreten. Das Prinzip: Störung um jeden Preis. Das ließ sich bei der Aktion im Parlament beobachten, als AfD-Besucher Parlamentarier bedrängten – wovon Alexander Gauland nichts wusste. Zwar vertritt er selbst radikale Positionen, aber von dieser Art Entgleisung hätte er abgeraten – aus strategischen Gründen.
Strategische Gründe sind es auch zum großen Teil, die Meuthen zu seiner kalkulierten Wutrede veranlasst haben. Ein Versuch, die Krise zu steuern. Meuthen hat die berechtigte Sorge, dass das Projekt AfD scheitern könnte. Wer ihm genau zugehört hat, konnte gut verstehen, dass es eben keine Inhalte waren, die er kritisierte, sondern die Vehikel, mit denen diese Inhalte transportiert werden. Ihm geht es darum, nach außen Problembewusstsein und Abgrenzung zu demonstrieren und verbaler Radikalität abzuschwören. Selbstverharmlosung nennt man diese Strategie bei der AfD.
Sie ist erfolgreich, bisher, und konnte die wachsende Radikalisierung immer wieder bemänteln. Aber wie weit trägt das? Die Partei hat mehrere Häutungen hinter sich. Immer liefen sie gleich ab: Chefs, die sich der weiteren Radikalisierung verweigerten, mussten gehen. Die AfD rückte jeweils ein Stück weiter nach rechts. Der Machtkampf ist in Kalkar nur vertagt worden.
katja.bauer@stzn.de