Weindorf versus Wochenmarkt: Die Stadt hat entschieden, dass die Weindorfstände auch 2013 erst am Dienstag verschwunden sein müssen – weil der nächtliche Abbau ein Sicherheitsrisiko darstelle. Das missfällt manchen.

Stuttgart - Der Teilabbau erinnert ihn an den Film „Fitzcarraldo“. Rolf Graser, Geschäftsführer des Forums der Kulturen, hat Klaus Kinski vor Augen, der als exzentrischer Opernnarr seinen Untergebenen befiehlt, einen Flussdampfer mitten im Urwald über einen Berg zu tragen. „Unsere Ehrenamtlichen schuften nachts freiwillig, um Platz zu schaffen für den Wochenmarkt“, sagt Graser. Für den Wochenmarkt dienstags und donnerstags erfolgt jeweils ein Teilabbau der Stände beim jährlichen Festival der Migrantenvereine auf dem Marktplatz. „Das wird nachts gemacht bei Scheinwerferlicht. Da kommt mir manchmal das Gruseln“, sagt Rolf Graser.

 

Seine Argumentation hört sich ähnlich an, wie die schon seit Jahrzehnten vorgebrachten Klagen von Standbetreibern auf dem Weindorf. Auch sie sehen erhebliche Sicherheitsrisiken, die mit dem nächtlichen Abbau in der Nacht zum Montag im spärlichen Licht von Schweinwerfen und der Straßenbeleuchtung einhergehen.

Doch das Festival der Kulturen muss auch künftig mit Nachtarbeit leben – anders als das Weindorf. Der Wirtschaftsausschuss der Stadt hat entschieden, dass die Weindorfstände auch 2013 erst am Dienstag verschwunden sein müssen. Weil die Nachtarbeit ein Sicherheitsrisiko für diejenigen darstelle, die auf dem Marktplatz die Stände abbauen. Die Wochenmarktbeschicker müssen deshalb einen weiteren Tag auf der Königstraße verbleiben. Rolf Graser vom Forum der Kulturen findet das ungerecht. Er wünscht sich gleiches Recht für alle. Auch die Bezirksvorsteherin Mitte, Veronica Kienzle, weist auf die Ungleichbehandlung der beiden Veranstaltungen hin.

Bezirksvorsteherin befürchtet wirtschaftliche Einbußen

Kienzle macht keinen Hehl daraus, dass ihr der Verbleib des Wochenmarkts auf dem Marktplatz besonders am Herzen liegt. Der Markt auf dem Marktplatz sei ein Stück Stuttgarter Kultur, sagt sie. Die Bezirksvorsteherin befürchtet wirtschaftliche Einbußen für die Wochenmarktbeschicker. Anders als die Stadt. Sie beruft sich auf eine Befragung unter Standbetreibern. Derzufolge habe die Mehrheit keine Probleme, einen Tag länger auf die Königstraße auszuweichen. Die Bezirksvorsteherin Kienzle bezieht sich dagegen auf Klagen von Wochenmarktbeschickern und Kunden, die sich 2012 an sie und Bezirksbeiräte gewandt hätten.

Eine Spaziergang über den Wochenmarkt und Gespräche mit den Beschickern des Wochenmarkts bringen gleichfalls keine Klarheit. Ute Bauer aus Weinstadt-Großheppach lehnt an ihrem Obst- und Gemüsestand die Regelung für das Weindorf ab. „Wir merken es, wenn wir einen Tag länger auf der Königstraße sind und unsere Stammkunden uns nicht am angestammten Platz finden.“ Klara Bucher verkauft zwar gleichfalls Obst und Gemüse auf dem Wochenmarkt, ist aber ganz anderer Meinung: „Wenn es nach mir geht, könnte der Wochenmarkt die ganze Zeit auf der Königstraße bleiben. Da sind doch viel mehr Leute unterwegs“ , sagt sie.

Erleichterung unter den Betreibern

Unter den Betreibern der Weindorfstände herrsche hingegen ziemlich einstimmig Erleichterung über die längere Abbauzeit, sagt der Standbetreiber Tilmann Ruoff. Bis 2012 sei der Weindorfabbau für ihn stets ein Graus gewesen. Denn zuerst musste die Elektrik vom Stand entfernt werden. „Danach war es ziemlich düster“, sagt Ruoff. 2011 kam Nieselregen dazu. Die Mitarbeitet seien in der Dunkelheit auf glitschigen Holzplanken herumgelaufen. „Dass da niemand sich verletzt hat, ist ein Wunder“, sagt Ruoff. Derartige Befürchtungen veranlassten auch den Weindorfveranstalter Pro Stuttgart, sich schon seit 30 Jahren für eine Ende der Nachtarbeit einzusetzen, sagt Werner Koch, der Vorstandsvorsitzende von Pro ‚Stuttgart.

Er regt an, an einem Kompromiss zu arbeiten. Im November haben alle Beteiligten schon einmal miteinander gesprochen. Eine Idee sei gewesen, dass die Mitarbeiter des Weindorfs am Montag so viel abbauen, dass sie am Dienstag nur noch Feinarbeit leisten müssen. Die Wochenmarktbeschicker sollen dennoch dienstags ihre Stände aufstellen, während die Reste des Weindorfs verschwinden. Anders als die Bezirksvorsteherin Kienzle interpretiert Pro Stuttgart den Vorschlag vom November 2012 nicht als Absichtserklärung, sondern als bloße Idee. Der Weindorfarchitekt müsse nun schauen, inwieweit das Nebeneinander von Weindorf und Wochenmarkt realisierbar sei, sagt Koch. Er verspricht:  „Ich werde mich mit Nachdruck darum kümmern, dass wir eine Lösung finden. Wir wollen uns keine Feinde machen.“