Die katholische Kirche droht ihr Alleinstellungsmerkmal zu verlieren: die weltweite Einheit der Messfeier. Das Vaterunser ist davon zwar nur ein kleiner, aber ein sehr symbolischer Teil.

München - Mit seinen Gedanken zu einer „besseren“ Übersetzung des Vaterunsers hat es Papst Franziskus in die Schlagzeilen geschafft, sogar auf die Titelseite der „Bild am Sonntag“. Hingegen ist über eine weitaus wichtigere päpstliche Entscheidung – nicht einfach eine Überlegung, sondern einen weltkirchenweit verbindlichen Erlass – in Deutschland bislang kaum berichtet worden. Mit ihm räumt Franziskus auf der einen Seite einen Dauerkrach zwischen den Ortsbischöfen und dem Vatikan ab; in den USA sprach man von einem „fünfzigjährigen Liturgiekrieg“. Auf der anderen Seite werden nun Gräben zwischen den Sprachgruppen und den nationalen beziehungsweise kontinentalen Bischofskonferenzen aufbrechen.

 

Vor allen Dingen schwebt die Einheit des Ritus in Gefahr – und damit jenes weltumspannende und weltenverbindende Element, das die katholische Kirche allen anderen christlichen Konfessionen voraus hat. Oder besser: Diese Einheit muss neu definiert werden. Und für eine solche Aufgabe ist die katholische Kirche nicht trainiert. So viel hat die Debatte ums Vaterunser gezeigt: Mit der Streitkultur steht es selbst unter Bischöfen und Theologen nicht zum besten.

Das Misstrauen der Zentrale

Die globale Einheit der Messfeier war in der katholischen Kirche jahrhundertelang garantiert durch die Einheitlichkeit der lateinischen Sprache. Zwar hat das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) die Liturgie auch in den einzelnen Volkssprachen zugelassen, damit die Gläubigen „bewusst, tätig und mit geistlichem Gewinn“ daran teilnehmen können. Aber: Sämtliche Übersetzungen des lateinischen Original-Messbuchs waren im Vatikan zur Überprüfung vorzulegen. Geprüft wurde tatsächlich Wort für Wort – das hat immer die Frage aufgeworfen, woher denn irgendwelche römischen Experten ein höheres, genaueres, sensibleres Sprachwissen haben sollten als die lokalen Bischöfe und Theologen, die solche Übersetzungen als Muttersprachler angefertigt hatten.

Daher der Krach. Vor Ort fühlte man sich bevormundet, schikaniert und, noch schlimmer, dauernd in den Verdacht gestellt, „die da draußen“ wollten mit „liberalen, kreativen“ Formulierungen die eherne katholische Lehre an den Zeitgeist verraten. 2001 zog Rom die Zügel sogar noch weiter an. Eine neue Instruktion verlangte die nahezu wörtliche Übersetzung der lateinischen Gebetstexte. Das hatte zur Folge, dass diese in den modernen Einzelsprachen steif und gestelzt daherkamen und sich auf dermaßen unverständlich gewordene theologische Begriffe stützten, dass die deutschsprachigen Bischöfe „ihr“ neues, von Rom aufgedrücktes Messbuch seit 2013 als den Gläubigen unzumutbar in die Schublade verbannt haben.

Ein Rüffel für den Kardinal

Nun hat Franziskus aufgeräumt. Getreu seinem Motto, dass „eine übertriebene Zentralisierung das Leben der Kirche kompliziert, anstatt ihr zu helfen“; getreu auch seiner Ansicht, dass bei der erforderlichen „pastoralen Umkehr“ der Kirche auch die Bischofskonferenzen vor Ort „mit einer gewissen authentischen Lehrautorität“ ausgestattet sein sollten, beschied er in seinem programmatischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ schon 2013: Nicht alles müsse in Rom entschieden werden.

Mit „Magnum Principium“ („Der wichtige Grundsatz“) hat Franziskus seine „heilsame Dezentralisierung“ nun erstmals angewendet. Bischofskonferenzen brauchen ihre Übersetzungen der Messbücher seit 1. Oktober in Rom nicht mehr zur Überprüfung (lateinisch: Recognitio) vorzulegen. Die Zulassung der Texte für den liturgischen Gebrauch bleibt bei den Bischöfen; der Vatikan „bestätigt“ nur noch (Confirmatio). Und den Chef seines eigenen Liturgieministeriums, Kardinal Robert Sarah, der „erklärend“ gemeint hatte, Rom dürfe den Bischöfen draußen auch weiterhin bestimmte Formulierungen „aufdrücken“, stellte Franziskus mit einem offenen Brief so in den Senkel, wie es seit Menschengedenken kein Papst mit einem führenden Kardinal gemacht hat. Solche Eingriffe von oben oder gar eine „im Vatikan erstellte Übersetzung“ würden „die Rechte der Ortsbischöfe verletzen.“

Damit ist der Weg frei für die bischöflichen Sprachgruppen der Welt. Urplötzlich ausgestattet mit einem Vertrauensvorschuss aus Rom, dürfen sie die Messtexte in Eigenverantwortung übersetzen. Der Papst – darauf weist der Liturgieprofessor an der Münchner Uni, Winfried Haunerland hin – hat die Fixierung aufs lateinische Original aufgebrochen. Zwar müssen liturgische Texte auch weiterhin „vor allem dem Original getreu“ bleiben; eine Treuepflicht, eine Verantwortung gibt es aber auch gegenüber der Sprache, in die übersetzt wird, sowie gegenüber den „Adressaten“, sprich den Gläubigen, die den Text ja auch verstehen müssen. Franziskus, selbst nicht gerade vielsprachig, trägt der Entwicklung der Weltkirche Rechnung.

Die „Versuchung“ war nur der Anfang

Klar, auch Franziskus entbindet keinen Übersetzer von der „gesunden Lehre“ und der „Gemeinschaft“ der Weltkirche. Aber wenn es jetzt deutsche Bischöfe gibt, die ihre französischen Amtskollegen allein für deren Neuübersetzung eines Vaterunser-Verses rüffeln, dann ist das nur der Vorgeschmack dessen, was auf die katholische Kirche zukommt. Und das auch noch in ihrem heiligsten Bereich.

Dabei bleibt die französische, durch Franziskus berühmt gewordene Übersetzung – „Lass uns nicht in Versuchung geraten“ – voll in der kirchenamtlich legitimierten Bandbreite von Formulierungen. Ausdrücklich festgehalten ist das im „Weltkatechismus“, der 1992 unter Johannes Paul II. und Joseph Ratzinger als dem Chef der Glaubenskongregation entstand. Franziskus irrt also nicht, auch wenn ihm viele das zuletzt vorgeworfen haben. Und das mit der Rechtgläubigkeit ist komplizierter, als mancher sich das zurechtlegt.