Bei einem Streit in der Bahn kürzlich mischen sich Leute ein. Der eine sieht Rassismus vorliegen, der andere Migration als das zentrale Problem. Das letzte Wort hat eine Seniorin. Worum ging es in der Auseinandersetzung eigentlich?
Vielleicht kennen Sie den Moment in der Bahn: Sie sind tief in das versunken, was auf dem Handybildschirm passiert, in dem Fall die Suche nach einem neuen Couchtisch auf Kleinanzeigen. Zwei Stimmen erheben sich über die anderen Nebengeräusche, es könnte ein Paar sein, das über missratene Samstagseinkäufe diskutiert. Aber schnell wird klar: Das zufällige Aufeinandertreffen einer Frau und eines Mannes hat sich unglücklich entwickelt.
„Den Linksfaschisten werde ich mir noch vorknöpfen“
Beide sagen Dinge zueinander, die im Knigge nicht mal als Negativbeispiele erlaubt wären, Lautstärke und Tonlage deuten darauf hin, dass der Weg zurück zu einer sachlichen Ebene verbaut ist.
„Er hat mich geschubst“, sagt sie. „Sie hat mich beschimpft“, sagt er, die hart gesprochenen Konsonanten ein Hinweis auf einen Akzent, die unklaren Silbentrennungen ein Hinweis auf eine alkoholschwere Zunge. Der Ausgangspunkt des Streits ist unklar. Eindeutig nur, dass die beiden die Verantwortung jeweils beim anderen sehen. Die Schuldfrage können wir nicht klären. Aber man ahnt schon: Gleich werden sich noch weitere Menschen einschalten.
Die streitende Frau sagt: „Geh doch zurück, wo du herkommst.“ Daraufhin mahnt ein Mitfahrender: „Darf ich um ein bisschen weniger Rassismus bitten?“ Die Frau: „Aber er belästigt mich.“ Der Rassismuskritiker: „Man kann Menschen auch anders zurechtweisen.“
In sicherem Abstand hört ein Herr mittleren Alters zu und sagt, halb zu seiner Partnerin, halb zu sich selbst: „Den Linksfaschisten werde ich mir noch vorknöpfen“, bleibt aber sitzen. Mehrere Menschen murmeln jetzt etwas vor sich hin, wahrscheinlich kurz davor, auch ihre Position deutlich wiederzugeben. Es ist schließlich Wahlkampfzeit.
Der Betrunkene fliegt raus, die Diskussion geht weiter
In der Zwischenzeit machen sich die ursprünglich Streitenden wieder bemerkbar. „Ich soll also zurückgehen, wo ich herkomme“, sagt der betrunkene Mann anklagend. „Er hat mich Nazi-Schlampe genannt“, sagt dann die Frau. Wo er herkommt, bleibt unklar, jedenfalls befindet er sich in der U 14 nach Vaihingen und wird an der Haltestelle Bihlplatz von einem weiteren Mann, der bisher nicht in Erscheinung getreten ist, nach draußen bugsiert. „Okay, ich muss hier nicht raus, aber ich steige jetzt aus“, sagt der angetrunkene Mann, er hat die Deeskalationsstrategie verstanden und akzeptiert.
In der Bahn ist das Thema noch nicht ganz ausgestanden. Der Herr, der sich auch den „Linksfaschisten“ vorknöpfen wollte, sagt nun über den Betrunkenen, der sollte mal in Russland probieren, sich so zu benehmen. Wie er den Russlandbezug herstellt, bleibt unklar, vielleicht ist er Experte für osteuropäische Akzente. Er sagt irgendwas von Frechheit und: „Wir werden ja sehen, wie die Wahl ausgeht.“ Man kann nur vermuten, für welche Partei er sich einen großen Stimmenzuwachs erhofft.
Worum ging es eigentlich?
Ihm gegenüber sitzt eine Seniorin. Sie war bisher still. Jetzt sagt sie: „Es gibt überall solche und solche.“ Und: „Es gibt auch deutsche Männer, die das machen.“
Daraufhin ist es still, die Themen Rassismus und Migration scheinen abgehakt. Zumindest in dieser Stadtbahn und in diesem Moment – man ahnt aber, dass in diesen Tagen an etlichen Orten ganz ähnliche Gespräche geführt werden.
Lauschangriff In loser Folge erzählen wir in unserer Serie von Gesprächen aus dem Alltag, die nicht zu überhören sind.