Die Wahlrechtsreform des Bundestags ist beschlossen – zum Ärger der Linken und der CSU. Jetzt löst ein neuer Vorschlag neue Diskussionen aus.

Es könnte ein Kompromiss sein. Nach der Kritik an der Wahlrechtsreform hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer am Wochenende einen neuen Vorschlag gemacht. Er regt an, die Fünfprozenthürde abzusenken: auf vier Prozent. Das erklärte er in einer Stellungnahme, über die die „Süddeutsche Zeitung“ als Erste berichtet hatte. Dass die Grundmandatsklausel gestrichen worden sei, habe „aus allen Richtungen zu erheblicher Kritik geführt, die wir ernst und aufnehmen müssen“, schreibt Schäfer demnach, um seinen Vorstoß zu begründen. Die Fünfprozenthürde zu senken, würde es Parteien erleichtern, auf den Mindestanteil an Zweitstimmen zu kommen, der nötig ist, um in den Bundestag einzuziehen. Das betrifft Parteien, die die Fünfprozenthürde nur knapp übertroffen (CSU) oder sogar verfehlt (Linke) haben.

 

Verhaltene Reaktionen

Die Linke-Vorsitzende Janine Wissler äußerte sich verhalten zu dem Vorstoß. „Die Absenkung der Fünfprozenthürde ist eine Möglichkeit, die durch die Wahlrechtsreform der Ampel geschaffenen Probleme ein Stück weit zu schließen“, sagte sie unserer Zeitung. „Das Ziel jeder Wahlrechtsreform muss sein, dass möglichst wenige Stimmen verloren gehen.“ Sie betonte: „Dennoch würde das Problem bleiben, dass womöglich Wahlkreise nicht in den Bundestag einziehen und ganze Städte und Regionen nicht vertreten sind.“ Der Vorschlag zeige, dass es innerhalb der Regierung Bedenken gegen die Abschaffung der Grundmandatsklausel gebe.

Noch kritischer äußerte sich Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion. „Die Koalition hat ein Wahlrecht beschlossen, das verfassungsrechtlich prekär ist und unserer Demokratie schadet“, sagte Frei unserer Zeitung. „Die hektischen Reparaturversuche, die sie nun im Nachgang unternimmt, unterstreichen das noch einmal deutlich.“ Die Fünfprozenthürde und die Grundmandatsklausel hätten sich grundsätzlich bewährt, so Frei: „Das Hauptübel des Vorschlags der Koalition ist die Entpersonalisierung des Wahlrechts.“

Skeptisch äußerte sich auch Till Steffen, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen-Fraktion und Obmann der Wahlrechtskommission im Bundestag. „Die Absenkung der Fünfprozenthürde ist bisher nicht Gegenstand der Gespräche“, sagte Steffen. „Ich gebe zu bedenken, dass diese scheinbare Lösung gleichzeitig weitere Probleme in der Folge nach sich führen kann.“

Zuspruch aus Fachkreisen

In Fachkreisen gab es hingegen Zuspruch für Schäfers Vorschlag. Sophie Schönberger, Professorin für Öffentliches Recht an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, unterstützt den Vorstoß. „Ich halte auch die Wahlrechtsreform, wie sie nun beschlossen wurde, für völlig unproblematisch und verfassungskonform“, sagte sie. „Aber für viele hat sie ein politisches Geschmäckle, weil der Vorwurf im Raum steht, die Regierungsparteien wollten ihren politischen Gegnern schaden.“ Das ließe sich mit Schäfers Idee ausräumen und sei einfach umsetzbar.

Größerer Streit über Wahlrechtsreform

Hintergrund ist der Streit über die Wahlrechtsreform, die die Ampelkoalition beschlossen hat. Sie hat zum Ziel, den Bundestag auf maximal 630 Sitze zu verkleinern. Das soll gelingen, indem nur noch so viele Direktkandidaten einen Sitz bekommen sollen, wie es dem Zweitstimmenanteil ihrer Partei entspricht. Wer seinen Wahlkreis am knappsten gewonnen hat, erhält demnach trotzdem kein Mandat. Besonders umstritten ist, dass die Ampelregierung die Grundmandatsklausel abgeschafft hat. Die sah vor, dass Parteien mit mindestens drei Direktmandaten sicher in den Bundestag einziehen – auch wenn sie an der Fünfprozenthürde scheiterte. Das ist aktuell bei der Linken der Fall. Relevant werden könnte diese Änderung auch für CSU. Die lag mit 5,2 Prozent zuletzt nur knapp über der Hürde. Die Grundmandatsklausel hätte der Partei trotzdem ihren Platz im Bundestag gesichert. Derzeit sind alle CSU-Abgeordneten im Bundestag mit Direktmandat gewählt.