Streit über Flugrouten Lässt sich Fluglärm gerecht verteilen?

Im Nürtinger Stadtteil Oberensingen machen Bewohnerinnen und Bewohner gegen die geplante Änderung der Flugroute mobil. Foto: Horst Rudel

Die Entscheidung über die geplante Flugroute nach Osten wurde vertagt, die Hoffnungen richten sich nun auf die Sitzung der Fluglärmkommission am 2. November: Im Vorfeld bringen sich jetzt die Kommunen in Stellung.

Leinfelden-Echterdingen - Viele offene Fragen haben Gegner der neuen Flugroute in Richtung Osten. Einige davon sollen in der Sitzung der Fluglärmkommission am Dienstag, 2. November, geklärt werden. Ursprünglich sollte dann bereits über die neue Route entschieden werden. Von der Vertagung, die Ostfilderns Oberbürgermeister Christof Bolay in der Runde mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann angeregt hatte, versprechen sich die Beteiligten viel. Vor allem hoffen sie auf ein Gesamtlärmgutachten, das belastbare Daten für die Situation in der Raumschaft bieten soll. Vertreter der Kommunen formulierten im Vorfeld Forderungen. Sie suchen nach einem Kompromiss, der auch die schon jetzt stark vom Lärm betroffenen Kommunen im Neckartal einschließt.

 

Nicht entscheidungsreif: Die letzten Wochen haben Nürtingens OB Johannes Fridrich gezeigt, dass die Frage noch nicht entscheidungsreif ist: „Ich erwarte von der Sitzung, dass herausgearbeitet wird, welche Fragen noch offen sind und wie diese geklärt werden können.“ Als Beispiele nennt er die Frage nach der Abweichung von international gültigen Sicherheitsflugvorschriften (ICAO) sowie die Frage, ob der Planfeststellungsbeschluss eine neue Flugroute erlaubt. „Außerdem ist noch ungeklärt, ob die Aufsplittung der Flugrouten perspektivisch zu einer Erhöhung des Flugverkehrs führen könnte.“ Überdies sollte geklärt werden, welche Punkte in einem unabhängigen Lärmgutachten untersucht werden sollen: „Für mich ist es die strittige Frage, ob die Aufsplittung in eine Gesamtfluglärmbetrachtung nicht insgesamt die Betroffenheit erhöhen wird.“ Wegen dieser offenen Fragen ist für ihn der Zeitplan für eine etwaige Entscheidung noch nicht absehbar.

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Sitz in der Kommission: Auf die erhebliche Belastung der Kommunen im Neckartal durch Fluglärm durch die aktuellen Flugrouten verweist Plochingens Bürgermeister Frank Buß: „Wie man anhand der Karten für die Lärmschutzbereiche und der Fluglärmkonturen ableiten kann, sind Plochingen und die Verbandsgemeinden Altbach und Deizisau in der Linie der direkten Verlängerung der Start- und Landebahn deutlich stärker vom Fluglärm belastet als die Kommunen südlich des Flughafens Stuttgart.“ Dass durch die neue Route 90 000 Menschen vom Fluglärm entlastet werden könnten, bleibt für ihn ein gewichtiges Argument. Buß verweist in einem Schreiben an Verkehrsminister Winfried Hermann darauf, dass die Stadt Plochingen bereits im Juni 2019 einen Sitz in der Fluglärmkommission gefordert habe. Das wurde abgelehnt. Diesen Antrag erneuert und bekräftigt Buß, um den schwer belasteten Menschen eine Stimme zu geben.

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Mehr Transparenz und Kommunikation: Als fester Vertreter in der Fluglärmkommission hat sich Neuhausens Bürgermeister Ingo Hacker gegen die neue Route ausgesprochen. Teile seiner Gemeinde wären stark davon betroffen. Im Gemeinderat nahm er zu den Plänen Stellung. Dabei begrüßte er, dass das Verfahren transparenter kommuniziert werde. Die Menschen müssten „klar informiert werden, ob durch diese Änderung der Flugroute mehr Starts möglich wären.“ Denn die durch die neue Route in Aussicht gestellte Entlastung der Menschen im Neckartal wäre dann nicht dauerhaft gewährleistet. Ein Gesamtlärmgutachten, in das Messungen und Werte unterschiedlicher Quellen einfließen, begrüßt er, denn durch den Ausbau der A 8 und die ICE-Strecke werde zusätzlicher Lärm auf den Fildern entstehen.

Die Debatte geht weiter: Die neue Flugroute wird in allen betroffenen Kommunen heftig diskutiert. In Neuhausen hat sich eine Bürgerinitiative formiert, die mit anderen Betroffenen in Wolfschlugen, Denkendorf, Aichtal, Köngen sowie in den Nürtinger Stadtteilen Hardt und Oberensingen kooperiert. Rolf Keck von der Schutzgemeinschaft Filder, der die Initiative in Wolfschlugen anführt, kümmert sich um die Koordination. Mehr als 9800 Bürgerinnen und Bürger haben eine Petition gegen die Pläne unterschrieben. Ein Kritikpunkt ist, dass die Strecke über das Naherholungsgebiet Sauhag führen und angrenzende Wohngebiete belasten soll. Auf die erhebliche Lärmbelastung auf den Fildern, etwa durch Autobahn und ICE-Strecke, verweisen sie ebenfalls. Für die Bundesvereinigung gegen Fluglärm sitzt Claudia Moosmann in der Fluglärmkommission. Sie sagt: „Für eine Entscheidung fehlen Fakten.“ Auch will sie geklärt wissen, ob der Flughafen durch die neue Route seine Kapazität erhöhen könnte. Weniger Flugbewegungen sieht sie als einzige Chance: „Lärm lässt sich nicht gerecht verteilen.“

Die Pläne der Fluggesellschaften

Umstrittene Route
 In den Gemeinderäten der künftig betroffenen Kommunen hatten die Piloten Marc Hasenbein von der Fluggesellschaft Eurowings und Valentin Reinhardt von der Lufthansa die Pläne für eine mögliche neue Routenführung in Richtung Osten vorgestellt. Die beiden Experten haben die Pläne im Auftrag der Fluglärmkommission erstellt. Dass bei den Präsentationen keine Vertreter der Deutschen Flugsicherung vertreten waren, stieß auf heftige Kritik. Auch der Lärmschutzbeauftragte für den Flughafen Stuttgart nahm an den Sitzungen nicht teil. Das öffentliche Interesse war dagegen sehr groß.

Vermittlung des Landes
 In den heftigen Streit betroffener Kommunen über die neue Route schalteten sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Verkehrsminister Winfried Hermann (beide Grüne) ein. Nun soll eine Arbeitsgruppe prüfen, ob ein Gesamtlärmgutachten belastbare Daten für die Debatte liefern kann. An einer solchen Expertise würde sich das Land mit einem Drittel der Kosten beteiligen.

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