Streit um Baumfällung in Weil der Stadt Baugebiet nimmt letzte Hürde – trotz Protest

Das Fällen der Bäume hatte am Montag sogar eine Stellungnahme der Landesumweltministerin provoziert. Foto: Simon Granville

120 gefällte Bäume haben in Weil der Stadt für Aufregung gesorgt. Für die Stadt war es ein notwendiger Schritt für dringend benötigten Wohnraum. Den Naturschutzverbänden geht es ums Prinzip.

Wo Christian Walter Unwahrheiten wittert, sagt er gerne seine Meinung: In der jüngsten Gemeinderatssitzung zerpflückte der Bürgermeister von Weil der Stadt vermeintliche Falschaussagen von Naturschutzverbänden auf ihren eigenen Plattformen und in der Presse, Screenshots und Quellen inklusive. Von „Fake News“ sprach er, und das zu einer Reihe von Tagesordnungspunkten, die nicht wie sonst üblich mit Video und Ton aufgezeichnet werden – weil diese laut Stadtspitze in der Vergangenheit zu jenen Falschmeldungen zurechtgeschnitten und verfälscht wurden.

 

Deutliche Worte findet der Bürgermeister also, und das, obwohl an jenem Dienstagabend im Gemeinderat der Stadt eigentlich ein Beschluss gefasst wird, auf dem man hier seit gut sieben Jahren hingefiebert hat. 2017 hatte der Gemeinderat die Entwicklung des Neubaugebiets Häugern-Nord am Rande der Weiler Kernstadt auf den Weg gebracht. Als „Armutszeugnis“ bezeichnet Hans Dieter Scheerer (FDP) den Fakt, dass es so lange gedauert hat, überhaupt erst einen Bebauungsplan für dringend benötigten Wohnraum aufzustellen. Dass der Weg bis dahin kompliziert geworden ist, zeigt schon der Umfang der öffentlichen Dokumente hierzu: Durch 1400 Seiten Material muss sich kämpfen, wer alle Details von Häugern-Nord erfassen will.

Juristisch war Fällung in Ordnung

Für Häugern-Nord ist die jüngste Sitzung des Gremiums der Abschluss dieser langen Planungsreise. Unaufgeregt ist sie nicht über die Bühne gegangen: Am Montag, nur einen Tag zuvor, hatten die Umweltverbände, allen voran Nabu und BUND, Alarm geschlagen. In rund zwei Stunden waren ein Großteil der Bäume auf der künftigen Häugern-Fläche gefällt worden, nachdem das Verwaltungsgericht in Stuttgart am Freitag eine Beschwerde der Naturschutzverbände abgewiesen hatte.

Juristisch war die Fällung in Ordnung. „Moralisch aber nicht“, sagt NABU-Landesvorsitzender Johannes Enssle. Sein Verband sei gleich am Freitag in die nächsthöhere Instanz gegangen, die Fällung wurde am Montagvormittag schließlich gestoppt, bis ein Beschluss in der Sache gefällt ist. Damit hätte die Stadtverwaltung rechnen müssen, sagen Nabu und BUND, die Verwaltung habe ein kurzes Zeitfenster genutzt. Mit der Fällung hätte man auch noch ein paar Tage warten können. Das Vorgehen nennt Enssle „dreist und unfair.“

„Künstliche Empörung“ über gefällte Bäume

Dass die Emotionen kurz vor der finalen Festsetzung des Bebauungsplan für das Neubaugebiet noch einmal hochkochen, damit habe er gerechnet, sagt Christian Walter auf Anfrage unserer Zeitung. „Aber nicht mit den Methoden der Naturschutzverbände.“ Rechtlich habe es keinen Grund gegeben, abzuwarten, sagt er, das Timing der Fällung sei purer Zufall. „Die aktuelle Empörung scheint mir künstlich“, kommentiert der Bürgermeister. Und: „Der Aufschrei hätte vor siebeneinhalb Jahren passieren müssen.“ Seitdem hat die Verwaltung stets mit dringend benötigtem Wohnraum und den Entwicklungschancen derStadt für das Neubaugebiet plädiert.

Den Naturschutzverbänden geht es derweil nicht nur um das Vorgehen in Sachen Fällung. Dreh- und Angelpunkt der Diskussion um Häugern-Nord ist auch der sogenannte Streuobstparagraf im Naturschutzgesetz geworden, der die Genehmigungspflicht für die Umwandlung von Streuobstflächen in die Hände der Unteren Naturschutzbehörden legt. „Wir wollen also auch klären: Was ist dieser Streuobstparagraf eigentlich wert?“, sagt Johannes Enssle.

Zwar wirke der Paragraf inzwischen besser als nach seiner Einführung 2020. An manchen Stellen wird dem Nabu-Landeschef aber doch noch zu häufig für eine Bebauung und entgegen des Streuobstschutzes entschieden. Auch deshalb will man in Sachen Häugern-Nord weiter den Klageweg bestreiten. Enssle wünscht sich hierbei einen fairen Umgang untereinander. „Auch, um das Vertrauen von Naturschützern in den Rechtsstaat zu stärken.“

Bürgermeister kann Erhebung zum Präzedenzfall nicht verstehen

Sorgen, dass die Aufregung um die gefällten Bäume die Wahrnehmung über das Neubaugebiet Häugern-Nord bei den Weil der Städtern verändert hat, macht sich Bürgermeister Walter unterdes nicht. „Sorgen macht mir die landesweite Wahrnehmung.“ Nicht nachvollziehen könne er, warum man aus Weil der Stadt nun einen Präzedenzfall in Sachen Streuobst gemacht habe – und verweist auf die rund 168 Hektar Streuobstbestände, die es außerhalb von Häugern-Nord in Weil der Stadt gebe. Er lobt zwar die gute Zusammenarbeit mit den Naturschutzverbänden in Weil der Stadt,insbesondere mit dem Nabu, etwa in Sachen Störche. Bei Häugern-Nord aber habe es hier noch nie eine konstruktive Zusammenarbeit gegeben. „Und kann es auch in Zukunft angesichts der Falschaussagen nicht geben.“

Dem Neubaugebiet Häugern-Nord steht nun zumindest aus kommunalpolitischer Sicht nichts mehr im Weg – der Gemeinderat verabschiedete den Bebauungsplan am Dienstagabend mit großer Mehrheit, trotz aller Emotionen und kritischem Plädoyer der Grünen-Fraktion. Unter den anderen im Rat vertretenen Fraktionen war man sich einig: Für Weil der Stadt soll Häugern-Nord die letzte große Entwicklungschance in der Kernstadt sein. Die restlichen Streuobstbäume bleiben stehen – bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Mannheim.

Dass dann aber auch die Bagger rollen, traut sich Bürgermeister Christian Walter nicht zu versprechen. Denn sollten die Umweltschutzverbände die angekündigten Rechtsmittel gegen den Bebauungsplan einsetzen, könnte sich der Baustart noch deutlich verzögern.

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