Vor dem Bundesverfassungsgericht wird der Vorwurf verhandelt, die Bundespräsidenten-Wahlen 2009 und 2010 seien fehlerhaft und unwirksam gewesen. Ausgerechnet die NPD könnte dafür sorgen, dass einzelne Regelungen wohl geändert werden.

Karlsruhe - Udo Pastörs, der neue NPD-Chef, hat Kreide gefressen. Er steht auf zu Beginn der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht und dann noch einmal ganz zum Ende. In den Stunden dazwischen sitzt er da und schweigt. Das ist für ihn auch besser so. Stattdessen redet der Szeneanwalt Peter Richter, der sein Handwerk gelernt hat. Keine einzige rechtsextreme Parole, kein scharfes Wort, stattdessen verbindliches Werben um die Richter, gepaart mit Sachkenntnis, Klarheit und differenzierten Argumenten. Die neue, die gefährliche Variante des Rechtsextremismus eben. Der Mann hat noch Größeres vor; er könnte die NPD auch in einem Verbotsverfahren vertreten.

 

Man könnte an diesem Vormittag im Karlsruher Verhandlungssaal glatt vergessen, um was es im praktischen politischen Leben geht: Um die Kandidatur des rechtsextremen Barden und Krawallmachers Frank Rennicke, der 2009 und 2010 von der NPD als Kandidat bei der Bundespräsidentenwahl vorgeschickt worden ist, um Aufsehen zu erregen und Ärger zu machen. Das Schauspiel wird vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Vorwurf fortgesetzt, die Präsidentenwahlen 2009 und 2010 seien fehlerhaft und unwirksam gewesen. Denn die Delegierten aus zehn Bundesländern seien in einer unzulässigen „Blockwahl“ bestimmt worden. Die Wahlen hätten deshalb wiederholt werden müssen.

Andere Regeln für die Versammlung

Das klingt so absurd wie vieles, was die NPD vorträgt. Und doch könnte ausgerechnet diese Partei – das wird während der Verhandlung deutlich – dazu beitragen, dass die Bundesversammlungen, die keine andere Aufgabe haben, als den Präsidenten zu wählen, künftig ein bisschen anders geregelt werden als bisher.

Alle anderen Parteien wollten der NPD damals in der Bundesversammlung kein Forum für extremistische Reden geben. Deren Anträge auf Wortmeldungen, Kandidatenvorstellungen und Debatten wurden abgeschmettert. Man beschränkte sich aufs Abstimmen. Die Wahl des Bundespräsidenten, so behauptet Professor Wolfgang Zeh, der Bevollmächtigte des Bundestags jetzt vor Gericht, sei überhaupt kein „parlamentarischer Prozess“, die Bundesversammlung lediglich ein dem politischen Streit entzogener „Wahlkonvent“, in dem es keine Minderheitenrechte geben könne.

Das sehen nicht nur die NPD-Vertreter, sondern auch die Verfassungsrichter wohl anders. Deren Debattenbeiträge machten deutlich, dass sie der Meinung sind, auch die Wahl eines Bundespräsidenten müsse überprüft werden können – womöglich durch das Bundesverfassungsgericht selbst. Dies könnte umso eher der Fall sein, als der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags sich geweigert hat, auf den Antrag der NPD hin aktiv zu werden.

Die Prozessparteien tasten sich ab

Schließlich, so die Richter, sei die Stellung des Bundespräsidenten nicht nur eine rein repräsentative. Natürlich könne auch in der Bundesversammlung einmal etwas strittig bleiben, was geklärt werden müsse. Dass den Delegierten dann nichts anderes mehr übrig bleibt, als die Versammlung zu unterbrechen, in der Lobby miteinander zu streiten, um eine Lösung zu ringen und anschließend drinnen wieder zu schweigen, erschien hinter dem Richtertisch keine allseits akzeptierte Lösung zu sein.

Könnte also gut sein, dass die NPD in Karlsruhe ein kleinen Teilerfolg erzielt und daraus dann einen politischen Triumph zu machen versucht. Dass andererseits ihre Behauptung, in vielen Länderparlamenten seien die Delegierten undemokratisch bestimmt worden, in Karlsruhe Gehör findet, ist unwahrscheinlich. Und zwar schon deshalb, weil sich die Bundesrichter in dieser Frage vorsichtshalber für nicht zuständig halten und auf ihre Kollegen in den Ländern verweisen.

Man kann die ganze Verhandlung aber auch als Probelauf betrachten, der den Prozessparteien Gelegenheit gegeben hat, sich wechselseitig kennenzulernen und abzutasten. Wenn es denn zu einem NPD-Verbotsverfahren kommen wird, das lässt sich jetzt ahnen, wird es manierlich und höflich zugehen. Was kein Schaden sein muss.