Die Regierungskoalition in Stuttgart streitet sich jetzt öffentlich, mit der inszenierten Harmonie ist es vorerst vorbei. Hat nicht auch die Bundestagswahl gezeigt, dass die Parteien sich unterscheiden müssen?

Stuttgart - Dem Bundestagswahlkampf hatten die grün-schwarzen Koalitionäre mit einer gewissen Besorgnis entgegen gesehen. Irrationale Aussetzer mit Nebenwirkungen für das in rührender Harmonie dargebotene Regierungsbündnis im Land waren nicht auszuschließen. Doch alles ging gut: keine groben Beleidigungen wurden ausgestoßen, keine programmatischen Ausrufezeichen gesetzt, die nicht mehr zurückholbar gewesen wären. Dafür krachte es dann fünf Tage nach der Wahl im grün-schwarzen Koalitionsausschuss – in dieser Wucht überhaupt das erste Mal.

 

Den Anlass gab die Frage, wie die Landesregierung auf das Stuttgarter Fahrverbotsurteil reagieren sollte: mit Annahme des Richterentscheids, mit Berufung inklusive inhaltlicher Prüfung des Urteils – oder mit einer Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht, was zunächst als goldener Mittel- und damit Lösungsweg galt. Doch es kam anders. Die CDU legte sich quer. Das hatte nichts mehr mit dem Bundestagswahlkampf zu tun, wohl aber mit dem Wahlausgang, der für die CDU recht unbefriedigend ausfiel. Was darauf hindeutet, dass streit- und inhaltsentkernte Wahlkämpfe im Ergebnis das Gegenteil dessen bewirken können, was mit ihnen angestrebt wird.

Die CDU verweigerte sich am Freitag bei den Verhandlungen im Staatsministerium dem üblichen grün-roten Konfliktvermeidungsprozedere und beharrte auf das Einlegen der Berufung. Als Ministerpräsident Winfried Kretschmann gegen 17 Uhr aus dem Verhandlungssaal stürmte und den seit Stunden ausharrenden Journalisten zurief, der Regierungssprecher werde gleich noch drei Sätze sagen, da war klar, dass etwas schief gelaufen war.

Krisengespräche im Garten

Denn in Erwartung einer zügigen Beschlussfassung – beide Regierungsfraktionen hatte der Kompromissvariante Sprungrevision ihren Segen erteilt – war für 14 Uhr ein Pressestatement anberaumt worden. Die Journalisten kamen, legten ihre Blöcke aus und bauten ihren Kameras auf. Sie warteten und wunderten sich – und erhielten die Gelegenheit, über Stunden die Uneinigkeit der Koalition zu beobachten. Grüne und Christdemokraten durchmaßen in Zweier- und Dreierformationen den zu dieser Jahreszeit noch sehr ansehnlichen Garten der Villa Reitzenstein. Ein milder, fast sommerlicher Lufthauch strich durch die geöffneten Terrassentüren und verbreitete eine mediterrane Stimmung. Nur signalisierten die härter werdenden Gesichtszüge des sonst so gern botanisierenden Ministerpräsidenten, dass er der Pracht wenig Beachtung schenkte.

Der Einheitsbrei verdrießt auch

CDU-Vormann Thomas Strobl wollte nach der Demütigung bei der Bundestagswahl parteipolitisch Kante zeigen, zumal sich im Vorfeld allerhand CDU-nahe Wirtschaftsverbände und wohl auch der eine oder andere Unternehmensgewaltige gemeldet hatten. Keine Einigung also. Nur: Ist das – fürs Erste – so schlimm? Gibt es nicht auch positive Aspekte, zum Beispiel, den, dass Grüne und CDU offenkundig noch nicht fusioniert haben? Gott sei Dank streitet sich diese medial so professionell inszenierte Koalition endlich einmal öffentlich. Wähler mögen keine Konflikte, flüstern sich die Grün-Schwarzen zu. Der Einheitsbrei verdrießt aber auch. Tatsächlich versuchen die Grünen seit Begründung der grün-schwarzen Koalition, den Eindruck zu erwecken, sie seien eigentlich die besseren Christdemokraten und hätten doch immer schon konservativ gefühlt.

Umgekehrt zeigen sich die Christdemokraten entschlossen, die Grünen als lange Zeit irregeleitete Bürgerliche anzusehen, die nun nach Hause fänden. Alles eins. Wie langweilig! Demokratie lebt von Alternativen. Natürlich wäre es zu viel verlangt, wenn Grün-Schwarz auch noch die Opposition zu sich selbst herstellen sollte. Aber wenn bei dem Streit um Fahrverbote erkennbar würde, dass die Grünen bei der Mobilität andere Schwerpunkte setzen als die CDU – und umgekehrt – diente dies der Unterscheidbarkeit. Im Augenblick ist es doch so, dass die Grünen ständig sagen, man müsse in der Verkehrspolitik alles anders machen, aber fast alles beim Alten belassen, während die CDU insistiert, wenn etwas gemacht werde, dürfe dies aber auf keinen Fall jemand merken.

Und was den Umgang mit dem Urteil angeht: am längeren Hebel sitzen die Grünen. Denn wenn die Koalition sich nicht einigt, dann nimmt das Land das Urteil an – was die CDU nicht will und auch nicht der Ministerpräsident. Der ganz große Knall in Stuttgart ist jetzt, da in Berlin über Jamaika geredet wird, ohnehin kaum denkbar.