Streit über ein Kinderbuch Winnetous Feinde dürfen nicht siegen
Dass Ravensburger ein Kinderbuch um Winnetou vom Markt nimmt, bringt viele Menschen auf. Zu Recht: Scharfe Kritik an einem Buch und Bannung eines Buchs sind zweierlei.
Dass Ravensburger ein Kinderbuch um Winnetou vom Markt nimmt, bringt viele Menschen auf. Zu Recht: Scharfe Kritik an einem Buch und Bannung eines Buchs sind zweierlei.
Auf Twitter fliegen die Fetzen. Gegen „woke Deppen“ und „linke Spinner“ wird da geholzt. Der Verlag Ravensburger nimmt nämlich das Buch „Der junge Häuptling Winnetou“ nach Protesten wegen kultureller Aneignung vom Markt. Das finden manche Fans von Winnetou zwar schon schlimm genug, aber den meisten geht es um die mögliche Ausweitung: darum, dass nun auch Karl Mays Abenteuerbücher aus dem 19. Jahrhundert und deren Verfilmungen aus den 60er Jahren unter stärkeren Druck geraten könnten. Mit dem Ergebnis, dass auch sie als Beleidigungen der indigenen Völker Nordamerikas vom Markt genommen würden.
Diese Angst wird genährt von ein paar Hardlinern. „Die Bücher Karl Mays triefen vor Rassismus“, formuliert ein Twitter-Nutzer, ein paar andere pflichten ihm bei. Die Bücher um Winnetou, Old Surehand und Old Shatterhand sowie die Filme hätten in der heutigen Zeit nichts mehr zu suchen. Das provoziert wieder jene, die dann völlig entgleisend posten, es sei „mittlerweile schlimmer als bei den Nazis“.
Im Wutgetriebe geht unter, dass man über Für und Wider zum Beispiel von Karl May trefflich diskutieren kann. Dieser zeitweilig auf seine eigenen Fantastereien hereinfallende Mann – er gab seine Bücher als Berichte über selbst Vollbrachtes aus – hat nicht rundheraus den gängigen Rassismus seiner Zeit übernommen. Sein Schreiben ist aber nicht frei von Überlegenheitsdünkel. Mays Bücher haben in vielen Deutschen Sympathie für die Ureinwohner Nordamerikas geweckt. Aber das Bild, das er von Indianern geliefert hat, war ein stark verzerrtes.
Ob man die Bücher heute noch lesen soll und, wenn ja, mit welchem Blick, mit welchem Zusatzwissen, darüber lohnt es zu streiten. Auch darüber, ob und wie man an diese Fantasiewelt Mays mit aktuellen Filmen und Büchern anknüpfen kann oder ob das keine sinnvollen Ergebnisse brächte. Nur sollte in einer freien Gesellschaft das Ziel der Debattierenden sein, andere von einem Blick, einer Lesart zu überzeugen. Es darf nicht Ziel sein, die Möglichkeit zum Lesen zu beseitigen, die Bücher zu verbannen.
Die neuen Zensurdebatten werden vom Trumpfargument der Betroffenheit und Verletztheit geprägt, von Anspruch auf identitäre Sonderautorität. Vertreter von Minderheiten beanspruchen eine Art Genpatent auf ihre Widerspiegelungen in Kunstwerken, sie wollen ein Vetorecht, wenn sie sich unangenehm berührt fühlen, geschweige denn „re-traumatisiert“. Vor allem letzteren Begriff versucht man seit einiger Zeit, als nicht mehr hinterfragbaren Bannstrahl zu etablieren. Kunst und Unterhaltung aber müssen Spielraum haben. Vom Widerspruch gegen Anstößigkeiten können wir mehr lernen als aus einer inspirationsfreien Turnübung der Anstoßvermeidung.
Ganz Aufgeregte gehen derzeit so weit, in „Der junge Häuptling Winnetou“ eine Leugnung des Genozids an den Indianern zu sehen: Die Wirklichkeit werde mit der Geschichte einer Freundschaft zwischen Indianern und Weißen überschrieben. Denkt man diese Argumentation weiter, dürften von allen menschlichen Beziehungen immer nur die furchtbarsten und grausamsten erzählt und erinnert werden, um nicht reales Leiden kleinzureden. Kindern dürfte kein Schutzraum einer heilen Welt geboten werden, in dem sie ihre Werte entwickeln können, keine harmonischen Tier-Mensch-Beziehungen zum Beispiel. Die lenkten ja ab von Schlachthäusern, Massenhaltungselend und Artensterben. Und statt „Der junge Häuptling Winnetou“ müsste man Kindern Bücher über die Massaker an den Indianern vorlesen. Wem das sinnvoller erscheint als ein Buch, in dem ein weißer Junge Indianern hilft, dem ist nicht mehr zu helfen.