Kultusministerin Susanne Eisenmann sieht durch den Schritt des VfB die Zukunft der Eliteschulen des Sports in Gefahr. Der Vorgang hat nicht nur städtische Eliteschulen kalt erwischt, sondern auch beim Olympiastützpunkt Stuttgart Überraschung hervorgerufen.

Stuttgart - Die baden-württembergische Kultus- und Sportministerin Susanne Eisenmann (CDU) macht ernst: Als Reaktion auf die spontane Ankündigung des VfB Stuttgart, die Zusammenarbeit mit den staatlichen „Eliteschulen des Fußballs“ in Stuttgart zu beenden und die Nachwuchskicker bei der privaten Kolping-Akademie in Fellbach unterzubringen, hat sie Gesprächsbedarf beim Landessportverband (LSV) und dem Württembergischen Fußballverband (WFV) angemeldet. Die Angelegenheit nimmt sie auch deshalb persönlich, weil sie den Vorsitzenden des Kolping-Bildungswerks, Klaus Vogt, gut kennt. Der frühere Wirtschaftsförderer der Stadt ist ein alter Parteifreund, der der Verwaltung in ihrer Zeit als Stuttgarter Schulbürgermeisterin Konkurrenz machte.

 

„Mit Verwunderung“ habe sie die aktuelle Entwicklung zur Kenntnis genommen, heißt es im Schreiben an die Verbände. Der vom neuen VfB-Präsidenten verkündete Schritt werde nicht folgenlos bleiben. Wegen des Aderlasses gelte es, die zukunftsfähige Ausrichtung intensiv zu diskutieren. Alarmiert zeigt sich Eisenmann von einem angeblich geplanten Treffen zwischen dem VfB und dem Leiter des Olympiastützpunkts (OSP), Thomas Grimmiger. Sie befürchtet offenbar, dass auch die Top-Athleten anderer Sportarten zur Kolping-Akademie wechseln und das Verbundsystem der Eliteschulen des Sports gefährdet werde. Eisenmann ist sicher, „dass diese die Entwicklungen ebenfalls kritisch beobachten und sich entsprechend positionieren“. Vogt erklärte auf Anfrage: „Wir konzentrieren uns auf den VfB – an eine Ausweitung ist nicht gedacht“.

Olympiastützpunkt war über Schritt des VfB nicht informiert

Grimminger betonte, der OSP Stuttgart stehe mit seinen Partnerverbänden zum System „Eliteschule des Sports“. Durch die große Zahl ihrer Athleten könne der hohe Betreuungsstandard gehalten werden – allein aus den Stuttgarter Eliteschulen seien es rund 160 Leistungssportler. Für die Athleten aus anderen Sportarten würden deshalb „keine spürbaren Nachteile“ entstehen. Grimminger zeigte sich aber überrascht vom VfB: In keinem der bis zu fünfmal im Jahr stattfindenden Treffen der im Regionalteam des OSP zusammengefassten Verbände und Eliteschulen sei über den Austritt des VfB Stuttgart gesprochen worden – obwohl jedes Mal Vertreter des Bundesligisten anwesend gewesen seien.

Zumindest offiziell nicht überrascht über den Schritt des VfB scheint der Deutsche Fußballbund (DFB) zu sein: „Es gibt keine Irritationen“, versichert man dort. „Es werden Gespräche geführt, um eine bestmögliche Ausbildung der Talente zu gewährleisten.“ Und: „Alle Institutionen sind daran beteiligt.“ Jeder Verein könne „Vorschläge unterbreiten, um das Verbundsystem zu optimieren und zu erweitern“.

Nicht alle Schulen sind staatlich anerkannt

Der VfB nennt vor allem zwei Gründe für die Abkehr von den staatlichen Eliteschulen des Fußballs: Die Kolping-Akademie biete alle Schulformen an, man müsse die Fußballer nicht mehr von mehreren Schulen abholen. Und der Weg vom VfB-Nachwuchsleistungszentrum an der Mercedesstraße nach Fellbach sei kurz. Beides stimmt nur bedingt. Noch ist die dortige Realschule nicht staatlich anerkannt. Dies kann sich aber zeitnah ändern. Laut Kolping-Akademie befindet sich das allgemeinbildende Gymnasium derzeit bis Klasse acht im Ausbau, die Realschule bis Klasse neun – „für das G9 und die Realschule sind alle Voraussetzungen der Anerkennung erfüllt, die staatliche Anerkennung ist beantragt und zugesagt“, erklärt Frederik Merz vom Kolping-Bildungswerk. Er versichert: „Die Schüler müssen keine Schulfremdenprüfung machen.“ Laut Regierungspräsidium ist die Anerkennung des Gymnasiums (G9) aber frühestens im September 2018 möglich. Als Alternativen bleiben den älteren Sportlern zwei berufliche Gymnasien, zwei Berufsoberschulen sowie zwei Berufskollegs – die laut RP allesamt staatlich anerkannt sind. Der VfB teilt mit, die Kolping-Akademie könne mit verschiedenen Schulformen jedem Jugendlichen „einen Weg“ zu seinem Schulabschluss anbieten. Zu behaupten, dass alle Schulformen und Klassen angeboten werden könnten, „wäre sicherlich unseriös“. Dies gebe es auch an den Eliteschulen nicht.

Zudem hebt der Verein jetzt darauf ab, er werde mit den Jugendspielern „neutral“ über die beste Schulwahl sprechen. Gegenüber den Familien bringt er als Inklusivangebot auch einen Laptop ins Spiel, fürs E-Learning – „als weitere wertvolle Unterstützungsleistung“ der Privatschule, wie es in einem Schreiben an die Eltern heißt. Letztlich, so der VfB, würden diese entscheiden. Man spreche auch nicht von einer Kündigung der Zusammenarbeit mit Schulen, sondern von einer Ausweitung der Kooperation.

Der Schulweg ist doch etwas länger

Bei den Gesprächen müsste der Schulweg thematisiert werden: Gegenüber den Eltern argumentiert der VfB von „Zeitersparnis durch weniger Wegstrecken“. So kurz wie vom Verein behauptet – es war nur von der Dauer der Bahnfahrt die Rede – ist er nicht. Zwar fährt man mit der S-Bahn von Bad Cannstatt nach Fellbach in nur sieben Minuten. Es warten vor und hinter der S-Bahnstation aber 2,5 Kilometer Fußweg, so dass die Schüler wohl rund 40 Minuten unterwegs sind. In einer guten halben Stunde wären sie aber ins Untertürkheimer Wirtemberg-Gymnasium, die benachbarte Lindenrealschule oder die Cotta-Schule im Osten auch gelaufen. Mit der Bahn sind alle Stuttgarter Eliteschulen schneller zu erreichen als die Kolping-Akademie. Das gilt zumindest für 21 Jungs aus dem VfB-Internat an der Mercedesstraße.

Lehrer sollen aufs Clubgelände

Der VfB erklärte nun dazu, die bloße Betrachtung der Entfernung zwischen den Schulen und dem VfB-Gelände greife für das Verständnis von Flexibilität zu kurz. Die Lehrer könnten so am Nachmittag auf dem Clubgelände unterrichten. Es entfalle der Rücktransport der Schüler vom VfB-Gelände in ihre jeweiligen Schulen. Zudem hätten sie nun günstigere Trainingskorridore.

Im Rathaus nimmt man die Debatte gelassen zur Kenntnis

Gelassen nimmt man im Stuttgarter Rathaus die Debatte zur Kenntnis: Der VfB habe in der vorvergangenen Woche die zuständigen Bürgermeister Martin Schairer (Sport) und Isabel Fezer (Schule) darüber informiert, wie er seine Nachwuchsförderung neu ausrichten möchte. „Ich kann die Enttäuschung der staatlichen Schulen nachvollziehen“, sagt Fezer – aber wenn der VfB sich für einen anderen Schulpartner entscheide, „ist es Sache des VfB“. Entscheiden müssten die Eltern. Fezer sieht keine Hinweise darauf, dass andere Sportarten ebenfalls an Privatschulen abwandern könnten. „Denn so einen großen Aufwand kann sich kein kleiner Verein leisten“ – und alle anderen Vereine seien kleiner als der VfB. Die Bürgermeisterin geht davon aus: „Die anderen Sportarten werden weiterhin an unseren Schulen vertreten sein.“ Schairer betont: „Festzuhalten ist: die Stadt fördert nicht Leistungssportler und hat auch keinen Einfluss auf die Schulpläne.“

Tatsächlich hat die Stadt schon immer Einfluss auf den Spitzensport genommen und sich jahrzehntelang darüber definiert. Sie bezuschusste etwa die Sanierung des OSP mit einem hohen sechsstelligen Betrag, ermöglichte den Stadionumbau und gewährt Nachlässe für Bundesligisten bei den Hallenmietpreisen und plant aktuell sogar den Bau eines Sportbads.

Der Bundeszuschuss dafür von mindestens einer Million Euro ist aber in weite Ferne gerückt. Der Wasserballstützpunkt wird gestrichen. Die Neigung des Landes, den zu fördern, werde durch die städtische Zurückhaltung im Schulstreit wohl nicht erhöht, bestätigt auch der Sportkreisvorsitzende Fred-Jürgen Stradinger. Er lobt das Engagement der Eliteschulen in den höchsten Tönen, das sei in Stuttgart für alle Beteiligten eine Herzensangelegenheit, die auch vor Budgetgrenzen nicht halt mache. Er bedauert, dass VfB-Präsident Wolfgang Dietrich den Wechsel „aus einem bewährten System verkündet, ohne vorher über die Vor- und Nachteile mit den betroffenen Schulen gesprochen zu haben“.