Wegen Nötigung hatten teils prominente Juristen eine Gerichtschefin angezeigt, weil sie einen Richter wegen seines zu geringen Pensums ermahnt hatte. Doch die Staatsanwaltschaft lehnte jetzt Ermittlungen ab: Es gebe keinen Anfangsverdacht.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart / Freiburg - Im Konflikt um einen Freiburger Richter, der zu wenig Fälle erledige, bekommt die einstige Präsidentin des Oberlandesgerichts (OLG) Karlsruhe, Christine Hügel, nun auch Rückendeckung von der Staatsanwaltschaft. Die Freiburger Ermittlungsbehörde lehnte es nun ab, wegen einer Ermahnung des Richters Thomas Schulte-Kellinghaus gegen Hügel Ermittlungen wegen versuchter Nötigung einzuleiten. Entsprechende Strafanzeigen von teils prominenten Juristen aus ganz Deutschland wurden per Verfügung des Behördenchefs klar zurückgewiesen. Begründung: es gebe keinen Anfangsverdacht für eine Straftat, die OLG-Chefin habe vielmehr im Rahmen ihrer Aufgaben gehandelt.

 

Etwa zehn Anzeigen gegen Hügel und teilweise auch Mitarbeiter von ihr waren im Juni in einer abgestimmten Aktion bei der Freiburger Staatsanwaltschaft erstattet worden. Prominentester Absender war der Hamburger Strafverteidiger Gerhard Strate. Er hatte sein Engagement gegenüber der Stuttgarter Zeitung so begründet: „Ich unterstütze Herrn Schulte-Kellinghaus, da sein Anliegen, die Wahrung richterlicher Unabhängigkeit gegen einen Erledigungsdruck durch ,Fallzahlen‘, ein zutiefst rechtsstaatliches ist.“ Auch der aus Baden-Württemberg stammenden Ex-Diplomat und frühere Regierungsbeamte Klaus Hermann Ringwald hatte die Anzeige als „Konsequenz meiner rechtsstaatlichen Überzeugungen“ bezeichnet. Es sei wichtig zu klären, ob Nötigung vorliege, wenn ein Richter entgegen seiner richterlichen Überzeugung arbeiten solle.

Drohung mit empfindlichem Übel?

Schulte-Kellinghaus war bereits im Jahr 2012 von Hügel ermahnt worden, weil er deutlich weniger Fälle als seine Kollegen bearbeite; seine Quote liege bei 68 Prozent des durchschnittlichen Pensums. Die OLG-Chefin forderte ihn zu einer „ordnungsgemäßen, unverzögerten Erledigung der Amtsgeschäfte“ auf. Wenn er seine Arbeitsweise nicht umstellt, drohen ihm erhebliche Konsequenzen bis hin zur Kürzung von Bezügen. In der Ermahnung sieht der Richter einen Eingriff in seine Unabhängigkeit; er wehrt sich dagegen vor den Dienstgerichten, bisher überwiegend ohne Erfolg. Nachdem der Dienstgerichtshof seine Berufung gegen die Entscheidung der ersten Instanz zurückgewiesen hat, ist der Fall nun beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe anhängig; dort wird am 5. Oktober darüber verhandelt.

Die Anzeigeerstatter hatten Hügel vorgeworfen, sie wolle mit der Ermahnung eine andere, „zeitsparende“ Rechtsprechung durchsetzen. Hintergrund seien die Erwartungen der Politik, dass Richter ihre Arbeitsweise nach der Zahl der ihnen zugewiesenen Fälle richteten. Ihr Vorgehen stelle eine „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ im Sinne des Nötigungs-Paragrafen dar, es handele sich sogar um einen besonders schweren Fall. Die Staatsanwaltschaft sieht hingegen keinen entsprechenden Anfangsverdacht. Eine Nötigung nach dem Strafgesetzbuch liege nur vor, „wenn … die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist“, argumentiert der Behördenchef. Damit sollten die „zahlreichen Fälle der sozialadäquaten Ausübung von Druck“ von der Strafbarkeit ausgenommen werden. Ein verwerfliches Handeln stelle die Ermahnung aber nicht dar. Die OLG-Chefin habe vielmehr eine im Richtergesetz ausdrücklich vorgesehene Maßnahme ergriffen. Konkrete Vorgaben, wie die Verfahren zu erledigen seien, habe sie nicht gemacht.

Ermahnung ist nicht verwerflich

Auch das Ziel, Schulte-Kellinghaus zu mehr Verfahrenserledigungen zu bewegen, sei nicht zu beanstanden; es sei vielmehr Aufgabe einer Gerichtspräsidentin, auf eine ordnungsgemäße Erledigung der Dienstgeschäfte hinzuwirken. Dieser Aufgabe könnte kein Gerichtschef mehr erfüllen, wenn jede Beanstandung von Erledigungszahlen als strafbare Nötigung eingestuft würde; „auch in Extremfällen“ fehlte dann eine Handhabe. Zudem weisen die Ermittler darauf hin, dass Hügel dem Richter ausdrücklich die Möglichkeit eingeräumt habe, die Maßnahme überprüfen zu lassen. Auch dies zeige, dass „nicht in verwerflicher Weise Druck ausgeübt werden sollte, sondern – in sozialadäquater Weise – in dem rechtlich hierfür vorgesehenen Rahmen reagiert wurde“.