Eigentlich sollte der Bundesgerichtshof nächsten Mittwoch über den Fall eines Freiburger Richters verhandeln, der wegen seiner angeblich langsamen Arbeitsweise ermahnt wurde. Nun ist der Termin geplatzt – wegen eines ungewöhnlichen Befangenheitsantrags.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart/Karlsruhe - Die mit Spannung erwartete Verhandlung am Bundesgerichtshof (BGH) über einen Richter, der sich gegen die Ermahnung zu schnellerem Arbeiten wehrt, ist kurzfristig geplatzt. Der BGH teilte ohne Angabe von Gründen mit, der für Mittwoch vorgesehene Termin sei aufgehoben worden. Hintergrund ist nach Informationen unserer Zeitung ein Befangenheitsantrag des Richters gegen die zuständigen BGH-Richter. Zugleich wird darin die BGH-Präsidentin Bettina Limperg ins Visier genommen wegen ihrer früheren Rolle als Amtschefin des baden-württembergischen Justizministeriums.

 

Der Freiburger Richter am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe, Thomas Schulte-Kellinghaus, war von der früheren OLG-Chefin Christine Hügel ermahnt worden, weil er nur etwa zwei Drittel des durchschnittlichen Pensums seiner Kollegen erledige. Er sieht darin einen Eingriff in seine richterliche Unabhängigkeit: Hügel habe ihn unter Druck gesetzt, entgegen seiner Überzeugung seine Arbeitsweise zu ändern. Im Sinne des Justizministeriums wolle sie damit erreichen, dass die Justiz mit den vorhandenen Ressourcen auskomme. Vor dem Dienstgericht und dem Dienstgerichtshof war Schulte-Kellinghaus überwiegend unterlegen; dagegen hatte er als dritte und wohl letzte Instanz den Bundesgerichtshof angerufen.

„Streitgegenstand verkannt oder verfälscht“

Für befangen hält er die BGH-Richter wegen der bisherigen Art und Weise, wie sie in dem Verfahren agiert hätten; diese lasse nicht erwarten, dass sie unparteilich entschieden. Zum einen moniert der Richter eine Pressemitteilung des Gerichts, in der der Streitgegenstand zu seinen Lasten „verkannt bzw. verfälscht“ werde. Sie erwecke den Eindruck, in dem Verfahren sollten Verfehlungen von ihm untersucht werden; dabei gehe es um schwere Vorwürfe gegen die frühere OLG-Präsidentin. An der Mitteilung hätten die Richter mitgewirkt oder es zumindest gebilligt. Zudem hätten die Kollegen Auskunft auf die Frage verweigert, welche Rolle das Erledigungspensum in ihrer eigenen Arbeit spiele. Begründung: Äußerungen des BGH-Richters Thomas Fischer in einem Zeitungsbeitrag ließen befürchten, dass sich entsprechender Druck auch am Bundesgerichtshof auswirke. Zweifel an dieser Institution hat Schulte-Kellinghaus auch deshalb, weil das Vorgehen gegen ihn ohne Rückendeckung des Stuttgarter Justizministeriums nicht denkbar sei. Als Amtschefin sei die BGH-Präsidentin Bettina Limperg dort persönlich mit seinem Fall befasst gewesen, wie Akten belegten. Es sei zu befürchten, dass die Richter mit Vorwürfen gegen die Justizverwaltung nicht sachlich umgingen, wenn dadurch zugleich die heutige BGH-Chefin belastet werde. Bestärkt sieht sich der Richter durch eine aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in einem anderen Zusammenhang. Darin werde festgehalten, „dass das gegenwärtige System der Bewertung richterlicher Arbeit nicht unwesentlich nach quantitativen Gesichtspunkten erfolgt und hierdurch zusätzliche Anreize für eine möglichst rasche Verfahrenserledigung unter Inkaufnahme inhaltlicher Defizite schafft“.

Beschwerde gegen Staatsanwaltschaft

Unterdessen hat die Anwältin von Schulte-Kellinghaus Beschwerde gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Freiburg eingelegt, keine Ermittlungen wegen Nötigung gegen die frühere OLG-Chefin Hügel einzuleiten. Entsprechende Anzeigen hatten mehrere, teils prominente Juristen aus ganz Deutschland erstattet. Sie wurden abgewiesen unter anderem mit der Begründung, Hügels Vorgehen sei nicht verwerflich, sondern „sozialadäquat“. Die Ermittler hätten sich nicht ernsthaft mit dem Sachverhalt befasst, sondern politisch entschieden, rügt die Anwältin. Es handele sich sehr wohl um eine politisch motivierte Nötigung: Im Interesse des Justizministers sollte ihr Mandant gezwungen werden, seine Rechtsanwendung nicht vorrangig am Gesetz, sondern an den Ressourcen der Justiz auszurichten. Über die Beschwerde muss nun die Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe entscheiden.