Jean Asselborn kritisiert Ungarns Umgang mit Flüchtlingen ungewöhnlich scharf. Das Land sei nicht mehr weit weg vom Schießbefehl.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Brüssel - Jean Asselborn ist ein Freund deutlicher Worte. Mit Vorliebe prangert der aufbrausende Außenminister Luxemburgs Missstände in der Europäischen Union an. Nun hat er wieder eine seiner undiplomatischen Attacken geritten. Ziel des Zorns ist wieder einmal Ungarn. In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ fordert Asselborn den Ausschluss des Landes aus der EU.

 

„Wir können nicht akzeptieren, dass die Grundwerte der Europäischen Union massiv verletzt werden“, sagte der Politiker. Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baue oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletze, sollte vorübergehend oder dauerhaft „aus der EU ausgeschlossen werden“, fordert der Außenminister. Ungarn hätte „heute keine Chance mehr, EU-Mitglied zu werden“. Damit nicht genug. Die Flüchtlinge an der Grenze würden „schlimmer behandelt als Tiere“, poltert er. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“

Ein umstrittenes Referendum in Ungarn

Der Zeitpunkt dieser Tirade ist natürlich gezielt gewählt. Am 2. Oktober werden die Ungarn in einem Referendum über die von der EU geforderte Verteilung von Flüchtlingen auf die einzelnen Mitgliedsländer abstimmen. Ungarns Ministerpräsident Victor Orban selbst macht in diesen Tagen immer wieder Stimmung gegen die Flüchtlinge und die Politik der Europäischen Union. In den nächsten Jahrzehnten würden große Migrationsströme aus Afrika Richtung Europa ziehen, sagte der Regierungschef am Montag vor dem Parlament. Wenn vielen Migranten erlaubt würde, in die EU zu kommen, zöge das auch höhere Geburtenraten unter den Muslimen nach sich. „Europa wird nicht länger erkennbar sein“, warnte Orban.

Es sind genau diese Sätze, die dem Außenminister Luxemburgs die Zornesröte ins Gesicht treiben. „Typen wie Orban haben uns eingebrockt, dass die EU in der Welt da steht wie eine Union, die sich anmaßt, nach außen Werte zu verteidigen, aber nach innen nicht mehr fähig ist, diese Werte auch aufrechtzuerhalten“, ätzt Asselborn.

Kein Beweis von Mut und Stärke

Das offizielle Brüssel wird den Aussagen Asselborns natürlich nicht applaudieren. Dennoch werden solche Sätze von vielen EU-Vertretern mit großem Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Der Grund: seit Jahren baut Victor Orban von aller Kritik unbeirrt sein Land um und schränkt dabei Menschenrechte und demokratische Freiheiten immer weiter ein. Bisher konnten sich die europäischen Regierungschefs allerdings nicht zu einem gemeinsamen Vorgehen gegen Ungarn durchringen. Dieses offensichtliche Versagen der EU, selbst die eigenen Mitglieder nicht zur Räson bringen zu können, motiviert inzwischen andere Regierungen zu nationalen Alleingängen – vor allem in der Flüchtlingspolitik.

Der verbale Ausfall Asselborns ist also kein Beweis von Mut und Stärke, sondern eine Mischung aus Wut, Frustration und Hilflosigkeit.