Auf dem Bundesparteitag der Grünen wirkte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann mut- und erfolglos. Als Sieger ging Spitzenkandidat Jürgen Trittin von der Bühne. Doch jetzt dreht sich der Wind.
Stuttgart - So schnell ändert der Wind seine Richtung. Am vorvergangenen Wochenende stand Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, noch ziemlich zerzaust auf der Bühne des Grünen-Bundesparteitags in Berlin. Zeitgleich ergoss sich im Internet reichlich Hohn über den gescheiterten Mittelstandspolitiker, der noch kurz vor dem Parteikonvent zusammen mit seinem Vize, dem Finanzminister Nils Schmid (SPD), vor einer Steuererhöhungsorgie gewarnt hatte, damit aber bei den Delegierten nicht durchdrang. „Spiegel online“ lästerte über den erfolglos gebliebenen „Heckenschützen mit Platzpatronen“. Mehr als die eine oder andere Beschwichtigungsformel vermochte Kretschmann in den Steuern-rauf-Beschlüssen nicht unterzubringen. Dennoch sprach er zum Abschluss des Parteitags davon, die Grünen hätten „die richtige Balance“ gefunden.
Keile für den Provinzling
Das nahm ihm niemand ab. Dafür wurde Jürgen Trittin, der Spitzenkandidat für die Bundestagswahl und Vormann der Partei-Linken, von nicht wenigen Berichterstattern als begnadeter Stratege gefeiert. Wie Trittin den regierenden Provinzling aus dem Südwesten samt den dort noch immer reichlich beheimateten Realos ins Leere laufen gelassen habe: schon bemerkenswert. Trittin kann Bundespolitik. Das war die Botschaft. Kretschmann kann allenfalls Provinz. So ist das in der Politik. „Zwischen ‚Hosianna’ und ,Kreuzigt ihn’ können nur drei Tage liegen“, pflegt der bibelbewanderte Kretschmann in solchen Fällen zu sagen. Mitunter gibt er den Aphoristiker: „Auch wer Kurven fährt, kommt ans Ziel.“
Inzwischen aber ist das Hosianna für Trittin verklungen und ersten Kreuzigungsrufen gewichen. Kretschmann befindet sich nunmehr in bester Gesellschaft. Denn eine Woche und einige Rechenübungen später befand die gedruckte Ausgabe des „Spiegel“ plötzlich, die Grünen hätten sich strategisch vertan; Trittins Steuererhöhungsprogramm wurde als „Raubzug mit Ansage“ tituliert. Ähnlich wie der berüchtigte Magdeburger Parteitagsbeschluss (Fünf Mark für den Liter Benzin) aus dem Jahr 1998 seien die Steuerfantasien der Grünen geeignet, den Bundestagswahlkampf zu konterkarieren.
Die Grünen beatmen die FDP
Tatsächlich reagierte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für ihre Verhältnisse euphorisch auf Trittins parteiinternen Sieg. Und dass sich ausgerechnet die Grünen bei der Wiederbelebung der bereits scheintoten FDP hervortut, war so auch nicht zu erwarten.
Kretschmann denkt sich seinen Teil dazu. Traurig darüber, dass Trittin jetzt im Sturm steht, wirkt er nicht, nur so viel will er dazu sagen: dass die Landesregierung Kurs halte. Folgerichtig relativierte er alsbald nach dem Berliner Parteitag seinen Befund, die Grünen hätten in der Steuerpolitik „die richtige Balance“ gefunden, vor mittelständischen Unternehmern in bester scholastischer Denkart mit den Worten: „Jetzt lassen wir mal dahingestellt, ob uns das vollkommen gelungen ist.“ Für einen gläubigen Menschen wie Kretschmann ist mit dieser unanfechtbaren Aussage fester Boden erreicht. Denn nach himmlischen Maßstäben ist auf Erden überhaupt nichts vollkommen, nicht einmal ein Steuerprogramm der Grünen. Selbst „die richtige Balance“ ist so gesehen keine „vollkommene Balance“. Alles klar soweit?
Neuauflage im Landtag
Nein, befand die baden-württembergische Opposition. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke rief das Chamäleon zum Wappentier Kretschmanns aus. CDU-Landeschef Thomas Strobl grübelte verwirrt, was denn nun gelte, wenn Kretschmann sage, er stehe zur mittelständischen Wirtschaft. Kretschmanns Äußerungen vor dem Parteitag, auf dem Parteitag und nach dem Parteitag werfen laut Strobl die Frage auf: „Wie lange geht das gut, wenn man immer das erzählt, was gewünscht ist?“
Der Ministerpräsident sagte darauf am Dienstag nach der Kabinettssitzung: „Das Erste, was man machen muss, ist die Wahrheit in den Tatsachen suchen.“ Er verwies auf den Grundfreibetrag, der nach den Plänen der Grünen steige. Und dass der Spitzensteuersatz ja niemals für das gesamte zu versteuernde Einkommen gelte, sondern erst ab einer bestimmten Grenze ansetze. Und dass das zu versteuernde Einkommen nicht identisch sei mit der Höhe des Jahreslohns. Das müsse man den Leuten aus der Mittelschicht nochmals erklären. Und schließlich bleibe es bei der Linie der Landesregierung: Einer Substanzbesteuerung der Betriebe werde man nicht zustimmen, diese „rote Linie“ dürfe nicht überschritten werden. „Die Eigenkapitaldecke muss so sein, dass die Betriebe investieren können.“
Für diesen Mittwoch hat die FDP-Landtagsfraktion bereits eine Aktuelle Debatte beantragt. Titel: „Die Steuerbeschlüsse der Grünen – ein Angriff auf Mittelstand und Mittelschichten in Baden-Württemberg.“