Herrenberg beruft sich auf den Klimaschutz, um zu verhindern, dass ein Asphaltwerk nahe der Stadt in Zukunft Braunkohle verbrennt. Doch darf die Stadt das? Ein Gericht sagt: Nein.

Herrenberg - Der Kontrast an einem Sommertag könnte kaum größer sein: Nordöstlich des Herrenberger Stadtteils Haslach liegen Felder und ausgedehnte Streuobstwiesen, man hört Vogelgezwitscher und das Summen von Insekten. Doch knapp hundert Meter weiter nördlich ist ein Steinbruch, in dem seit mehr als hundert Jahren Muschelkalk abgebaut und zu Schotter verarbeitet wird. Daneben hat sich in den 1970er Jahren ein Asphaltwerk angesiedelt, das aus dem Schotter oder aus altem Asphalt neuen Baustoff herstellt. Dieser wird für den regen Straßenbau in der Region Stuttgart gebraucht. Lastwagen fahren über das Gelände. Ihre Fracht wird mit Wasser besprüht, damit sie weniger staubt. Hier ist es laut und dreckig.

 

Weil Herrenberg wächst, sind die Wohngebiete in den vergangenen Jahren immer näher an Asphalt- und Schotterwerk herangerückt. Vielen Anwohnern sind die Betriebe ein Dorn im Auge: zahlreiche Lastwagen fahren über die Haslacher Hauptstraße, und wenn im Schotterwerk einmal wöchentlich gesprengt wird, spürt man in manchen Häusern eine kurze Erschütterung. Doch das Fass zum Überlaufen brachte die Ankündigung das Asphaltwerkes Morof, zur Energiegewinnung in Zukunft Braunkohle zu verbrennen – das ist billiger als andere Brennstoffe, verursacht aber hohe Kohlendioxidausstöße. Für die Genehmigung war – und ist – die Gewerbeaufsicht des Böblinger Landratsamtes verantwortlich, der Herrenberger Verwaltung waren somit die Hände gebunden.

Stadt darf Bundesgesetze nicht verschärfen

Deshalb beschlossen Verwaltung und Gemeinderat, Neuland zu betreten: Mit einem Bebauungsplan wollten sie Grenzwerte für Emissionen festlegen. Laut dem Baugesetzbuch sollen die Pläne dazu beitragen, den Klimaschutz zu fördern – allerdings steht dort ebenfalls, dass die „Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung“ zu beachten sind. 2009 wurde der Bebauungsplan beschlossen. Vor wenigen Wochen hat allerdings das baden-württembergische Verwaltungsgericht in Mannheim entschieden, dass dieser unwirksam sei. Geklagt hatten die Besitzer des Asphaltwerkes Morof und des Schotterwerkes Böttinger.

Die Richter kritisierten vor allem, dass die Herrenberger Verwaltung für die Ausstöße des Asphaltwerkes Morof strengere Beschränkungen erlassen habe, als das Bundesimmissionsschutzgesetz vorgebe – dazu sei die Stadt aber nicht befugt. Noch hat das Gericht aber keine ausführliche Urteilsbegründung geliefert. Diese wolle man im Rathaus abwarten, bevor man über die nächsten Schritte entscheide, sagt Hubert Heberle von der Herrenberger Bauverwaltung. Weil eine Revision nicht zugelassen wurde, müsste die Stadt das Urteil durch eine Beschwerde beim Leipziger Bundesverwaltungsgericht anfechten.

Schotter- und Asphaltproduktion auch nach 2028?

Die Fronten zwischen den Unternehmen und der Kommune sowie den Anwohnern scheinen verhärtet. „Die Vorgaben der Stadt gefährden die Existenz der Betriebe und ihrer Mitarbeiter“, kritisiert Hans-Martin Kübler, einer der drei Besitzer des Schotterwerks Böttinger. Dabei habe man bereits einiges in Umweltschutz und Lärmvermeidung investiert.

Dieter Ulmer, der Ortsvorsteher des Stadtteils Haslach, kritisiert hingegen, dass sich die Betriebe mehrmals nicht an Abmachungen gehalten hätten. Auch die Gewerbeaufsicht im Böblinger Landratsamt habe ihre Kontrollen in der Vergangenheit teils „zu nachlässig“ durchgeführt.

Das Asphaltwerk Morof hat eine unbegrenzte Betriebserlaubnis, das Schotterwerk Böttinger darf erst einmal bis 2028 Muschelkalk abbauen. Hans-Martin Kübler hofft, dass es auch danach weitergeht – für viele Anwohner klingt diese Ankündigung hingegen wie eine Drohung.

Muschelkalk wird seit mehr als 100 Jahren abgebaut

Im Steinbruch zwischen dem Herrenberger Zentrum und dem Stadtteil Haslach wird seit 1908 Muschelkalk abgebaut, der zu Schotter verarbeitet wird. Das angrenzende Asphaltwerk Morof produziert hier seit Anfang der 1970er Jahre Straßenbelag. Durch die Nachbarschaft der beiden Betriebe ergeben sich Synergieeffekte: der Schotter kann teils vor Ort zu Asphalt weiterverarbeitet werden.

Die Betriebe sind vom Herrenberger Stadtteil Haslach etwa 450 Meter und vom Wohngebiet Holdergraben etwa 600 Meter entfernt. An beiden Stellen überwachen Messstationen das Ausmaß der Erschütterungen, die bei den Sprengungen des Muschelkalks entstehen. Im Landkreis Böblingen findet man weitere Steinbrüche unter anderem in Ehningen, Magstadt und Sindelfingen-Darmsheim.

Das Schotterwerk wurde bis 2011 von der Familie Böttinger betrieben. Dann wurde es an die drei heutigen Besitzer verkauft, die ebenfalls aus der Branche kommen. Hans-Martin Kübler beispielsweise bewirtschaftet im nahen Mötzingen in vierter Generation ein weiteres Schotter- und ein Asphaltmischwerk. Mitglieder der Familie Böttinger wohnen auch heute noch nahe dem Steinbruch.