Homöopathie als Alternative zu Antibiotika? Das ist Politikern in Bayern eine Studie wert. Die Kritik von Gegnern des Naturheilverfahrens lässt nicht lange auf sich warten. Doch was ist Homöopathie eigentlich und wie soll sie wirken?

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

München - Pläne aus Bayern für eine Studie zu homöopathischen Mitteln anstelle von Antibiotika haben in Fachkreisen scharfe Kritik ausgelöst. „Ich bin überrascht, dass die Studie in Auftrag gegeben wird und weiß nicht, welchen Mehrwert das bringen soll“, sagt Stephan Sieber von der Technischen Universität München.

 

„In der Wissenschaft gibt es keine Belege dafür, das Homöopathie wirkt.“ Homöopathie könne weder den Einsatz von Antibiotika reduzieren noch die Abwehrkräfte stärken, betont der Professor für organische Chemie.

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Homöopathie oder Antibiotika?

„Ich verstehe die Aufregung nicht“, erklärt hingegen der CSU-Politiker Bernhard Seidenath. „Jeder keilt sich an dem Thema Homöopathie fest.“ Dieses komme nur am Rande vor und sei Teil eines größeren Maßnahmenpaketes, mit dem sogenannte multiresistente Keime bekämpft werden sollen. Der Landtagsabgeordnete aus Dachau hatte daran federführend mitgewirkt.

„Wir wollen versuchen, alle Register zu ziehen, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu erhalten und Resistenzen zu vermeiden.“ Dafür dürfe nichts unversucht und nichts ununtersucht bleiben. Er hält das Geld für die Studie – Seidenath geht von rund 300 000 bis 400 000 Euro Kosten aus – für „sinnvoll investiert“.

Weil nach Einschätzung von Experten zu viel Antibiotika verteilt und teils falsch verabreicht werden, entwickeln Bakterien sogenannte Resistenzen. Dann wirken die Medikamente nicht mehr wie gewünscht. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben Schätzungen zufolge jährlich allein in Ländern der EU rund 20 000 Menschen an schweren Infektionen mit resistenten Bakterien, mit denen sie sich etwa in einem Krankenhaus angesteckt haben.

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Bayern will Wirkung von Homöopathie prüfen

Mit Stimmen von CSU, Freien Wählern und Grünen hatte der bayerische Landtag am 7. November beschlossen, untersuchen zu lassen, „wie ein reduzierter Antibiotikaeinsatz im medizinischen Bereich realisiert werden kann“. „Auch soll in diesem Zusammenhang eine mögliche positive Rolle von gegebenenfalls ergänzend verabreichten homöopathischen Präparaten beleuchtet werden“, heißt es in dem Antrag (Drucksache 18/3320).

Die Studie ist Teil eines größeren Maßnahmenpaketes, mit dem die Initiatoren Todesfälle durch sogenannte multiresistente Keime vermeiden wollen. Die bayerische Staatsregierung muss die Analyse noch in Auftrag geben. Einen Zeitplan gibt es nach Angaben des Gesundheitsministeriums noch nicht. Aus der Behörde heißt es, nichts spreche gegen eine Studie, „sofern diese – vorzugsweise durch eine universitäre Einrichtung – nach wissenschaftlichen Kriterien konzipiert und durchgeführt wird“.

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Aktivierung der Selbstheilungskräfte

Homöopathie ist ein in Deutschland weit verbreitetes Verfahren, bei dem die Selbstheilungskräfte des Körpers aktiviert werden sollen. Es werden unter anderem Mittel eingesetzt, die bei Gesunden in hohen Dosen Symptome der jeweiligen Krankheit auslösen würden. Die Substanzen werden extrem verdünnt und meist als Tropfen, Tabletten oder Kügelchen (Globuli) verabreicht.

Homöopathie gehört in Deutschland nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen. Allerdings erstatten viele Kassen Behandlungskosten für Naturheilverfahren, weil es eine Nachfrage dafür gibt und weil dies ein Instrument im Konkurrenzkampf ist. Dies ist immer wieder Anlass für Debatten. In Frankreich sollen homöopathische Arzneimittel mangels erwiesener Wirksamkeit ab 2021 nicht mehr erstattet werden.

Homöopathische Mittel gegen Blutvergiftung?

Homöopathie könne weder den Einsatz von Antibiotika reduzieren noch die Abwehrkräfte stärken, wie es in dem Antrag heißt, betont Sieber. „Auf einer wissenschaftlichen Grundlage müssen Sie mit einem Wirkstoff Bakterien töten. Dazu benötigen Sie Konzentrationen, die mit der Homöopathie nie erreicht werden.“

Als besonders umstritten gilt ein Passus des Antrags, in dem einer homöopathischen Behandlung unter Berufung auf eine nicht näher genannte Studie ein Nutzen bei einer schweren Sepsis – auch bekannt als Blutvergiftung – zugesprochen wird. „Das ist höchst gefährlich“, erklärt Sieber. „Bei einer schweren Sepsis muss die bakterielle Last gesenkt werden. Das geht mit Antibiotika“, so der Experte. „Der Nutzen einer homöopathischen Zusatzbehandlung ist nicht erkennbar.“

Baden-Württemberg ist Homöopathie-Hochburg

Der Südwesten ist Deutschlands Homöopathie-Hochburg. Firmen wie Weleda (Schwäbisch Gmünd), Wala Heilmittel (Bad Boll), Staufen-Pharma (Göppingen) oder Biologische Heilmittel Heel (Baden-Baden) stellen aus pflanzlichen, tierischen und mineralischen Substanzen homöopathische Präparate her.

In den Arzneimittelschränken vieler Haushalte stehen braune Fläschchen mit weißen Kügelchen. In keiner homöopathischen Hausapotheke dürfen Globuli mit Aconitum (Eisenhut), Arnica (Bergdotterblume) oder Belladonna (Schwarze Tollkirsche) fehlen.

Über keine andere Komplementärmedizin wird so kontrovers diskutiert wie über die Homöopathie. Ihre Anhänger preisen die therapeutischen Erfolge der bis zur Flüchtigkeit verdünnten Wirkstoffe, die in Globuli, Tabletten und Lösungen angeboten werden. Kritiker dagegen prangern sie als Scharlatanerie und Hokuspokus an.

Potenz D 78: wie ein Tropfen der Urtinktur im Universum

Das von dem deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) begründete Heilverfahren beruht auf zwei Säulen: der Ähnlichkeits- und Potenzierungsregel. „Ähnliches soll durch Ähnliches geheilt werden“, lautet der wichtigste Glaubenssatz. An Gesunden soll das Homöopathikum ähnliche Symptome hervorrufen wie die, an denen Kranke leiden.

Die Mittel wird in extrem niedriger Dosis zubereitet. Bei dieser sogenannten Potenzierung wird die Ursubstanz so lange mit einer Wasser- oder Alkohollösung verdünnt und verschüttelt, bis das Extrakt kein einziges Wirkstoffmolekül mehr enthält.

Ein Beispiel: Ein Mittel der Potenz D 23 (Verhältnis eins zu 100 Trilliarden) entspricht einem Tropfen der Urtinktur im Mittelmeer. Die Potenz D 78 entspricht eins zu einer Tredezillion – ein Tropfen im Universum. In Deutschland werden Mittel bis zu einer Potenz von D 1000 hergestellt. Hier streikt jedoch die Vorstellungskraft.

„Memory Effekt“ und Potenzierung

In der Homöopathie geht man davon aus, dass Stoffe in extremer Verdünnung stärker wirken als in konzentrierter Form. Dass in den Mitteln keinerlei Rückstände der Ursubstanz mehr vorhanden sind, ist irrelevant, weil deren Informationen im Wasser „energetisch“ gespeichert sind. In der molekularen Struktur von H2O werden Informationen wie auf einem Magnetband gespeichert.

Auf diesem Memory-Effekt beruht die Homöopathie. Sie behandelt zudem keine Krankheiten und Symptome, sondern den ganzen Menschen. Eine sanfte, ganzheitliche Medizin ohne Nebenwirkungen, betonen ihre Anhänger, die oft helfe, wenn die Schulmedizin versagt – vor allem bei chronischen Leiden wie Heuschnupfen, Neurodermitis, Migräne oder Allergien.

Reine Glaubenssache?

Die zahllosen Kritiker sind da ganz anderer Meinung. Für sie ist die Homöopathie reine Glaubenssache, für die es keine wissenschaftlichen Beweise gibt. Sie gehen davon aus, dass mögliche Erfolge ausschließlich auf einem Placeboeffekt beruhen. Placebos sind vorgetäuschte Behandlungen oder Scheinmedikamente, die wirken können.

Schon die Vorstellung, dass man eine Arznei erhält, kann bei vielen Patienten einen Heilungseffekt bewirken. Der Placeboeffekt ist allerdings keineswegs auf die Homöopathie beschränkt, sondern spielt auch in der Schulmedizin eine wichtige Rolle.