Seit 2015 gehen die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen vor allem zu Lasten der Beitragszahler. Das könnte im Wahljahr 2017 der großen Koalition auf die Füße fallen. Eine Entlastung der Kassen tut not.

Berlin - Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat nun endlich die Katze aus dem Sack gelassen. Mit zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds will er dafür sorgen, dass ihm und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die rund 50 Millionen zahlenden Mitglieder der gesetzlichen Kassenkassen wegen massiv steigender Beitragssätze im Wahljahr 2017 keinen Strich durch die Rechnung machen.

 

Wie Gröhe die dafür nötige Gesetzgebung regeln will, ist noch nicht ganz klar. Möglicherweise soll sie als Änderungsantrag an ein laufendes Gesetzesverfahren angehängt werden. Denn sie muss spätestens bis Oktober stehen. Dann gibt der Schätzerkreis von Bundesversicherungsamt, Gesundheitsministerium und Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) seine Prognose über den durchschnittlichen Zusatzbeitrag für 2017 ab.

Die Reserven schrumpfen

Wenn nicht gegengesteuert wird, könnte das für die große Koalition durchaus heikel werden. Die Reserven der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schrumpfen. Sie liegen derzeit bei 24,5 Milliarden Euro. Insgesamt 14,5 Milliarden haben die einzelnen Kassen auf die Seite gelegt. 10 Milliarden Euro lagern im Gesundheitsfonds. Vor zwei Jahren lag das Finanzpolster noch bei insgesamt 30 Milliarden Euro.

2015 fuhren die Krankenkassen trotz guter Konjunktur wieder ein Defizit von gut 1,1 Milliarden Euro ein. Durch Gröhes Reformen wird die GKV 2016 mit schätzungsweise 1,4 Milliarden und 2017 mit 3 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Zudem kommen laut GKV-Spitzenverband bei den großen Kostenblöcken - Ärzte, Kliniken und Arzneimittel - deutliche Ausgabensteigerungen dazu.

Arbeitnehmer werden belastet

Die Daten führen nahezu zwangsläufig zu einem Anstieg der Zusatzbeiträge. Nach Schätzungen der Kassen legen sie bis 2020 um jährlich durchschnittlich 0,2 Prozentpunkte zu. Insgesamt wären es dann im Schnitt 16,6 Prozent. Dabei würden vor allem die Arbeitnehmer durch die Kostensteigerungen belastet. Denn die Koalition von Union und SPD hatte 2015 einen neuen Beitragsmechanismus eingeführt.

Der Krankenversicherungsbeitrag setzt sich demnach aus zwei Komponenten zusammen: einem allgemeinen, feststehenden Beitragssatz von 14,6 Prozent, den Arbeitnehmer und Arbeitgeber je zur Hälfte tragen, und einem variablen Zusatzbeitrag, den die Arbeitnehmer allein tragen. 2015 lag der durchschnittliche Zusatzbeitrag bei 0,9 Prozentpunkten, 2016 stieg er um 0,2 Prozentpunkte an. Um diesen Mechanismus im Wahljahr zu durchbrechen, will die Koalition den Kassen also zusätzlich 1,5 Milliarden Euro aus den Reserven des Gesundheitsfonds zuweisen.

Kosten für die Flüchtlinge

Besonderen Ärger über diesen Griff in den Gesundheitsfonds verursacht dem GKV-Spitzenverband die Begründung: Damit sollen, so das Gesundheitsministerium, Kosten für die Versorgung von Flüchtlingen und den Ausbau der Telemedizin abgefedert werden. Dabei ist offen, wie viele der rund eine Million Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind, schon 2017 eine Krankenversicherung in Anspruch nehmen können.

Die Kosten für Asylsuchende würden in den ersten 15 Monaten von den Kommunen getragen. Und im Moment lasse sich auch noch gar nicht seriös abschätzen, wie viele Asylsuchende über den Bezug von Arbeitslosengeld II (ALG II) tatsächlich in die gesetzliche Krankenversicherung kommen, sagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, der dpa.

Die SPD hatte die Umstellung des Beitragsmechanismus zu Lasten der Arbeitnehmer damals mitgetragen, trotz guter Konjunkturdaten. Konsequenterweise rechtfertigt sie jetzt auch die zusätzlichen Mittel aus den Fondsreserven.

Aber nun kommt der Wahlkampf. Angesichts der guten Konjunktur müsse man zur Parität zurückkehren, damit die Kostensteigerungen von den Arbeitgebern gleichermaßen mitgetragen würden, argumentiert jetzt SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach. Und er prophezeit, die „paritätische Bürgerversicherung“ der SPD, die eine Abschaffung der privaten und eine gesetzliche Krankenversicherung für alle Bürger vorsieht, werde ein Riesenthema im Wahlkampf.