Man könnte meinen, dass buchstäblich Gras über die Sache gewachsen ist. Ist es aber nicht. Der Künstler Hermann de Vries wehrt sich dagegen, wie die Stadt Stuttgart mit seinem urwüchsigen „Sanctuarium“ am Pragsattel umzugehen gedenkt.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart - Das „Sancutarium“ hat Stuttgart bundesweit Schlagzeilen beschert – allerdings in der unrühmlichen Rubrik Schildbürgerstreiche. Im Februar hatte das Garten- und Friedhofsamt das 1993 anlässlich der Internationalen Gartenbauaustellung am Pragsattel eingerichtete Natur-Kunstwerk dieses Namens kleingehäckselt. Von der ursprünglichen Idee des international bekannten niederländischen Künstlers Herman de Vries, einen kreisrunden Raum inmitten der Stadt zu reservieren, auf dem sich die Natur – geschützt von einem Zaun – ungehindert entfalten kann, war nichts mehr übrig. Der Rückschnitt, so räumte der verantwortliche Chef des Garten- und Friedhofsamtes, Volker Schirner, nach lauten Protesten ein, sei „sehr gründlich“ ausgefallen.

 

Amtschef Schirner weist auf „Verkehrssicherung“ hin

Herman de Vries, der seit vielen Jahren in Eschenau in Unterfranken lebt und arbeitet, reagierte auf den Kunstfrevel tief getroffen. Oberbürgermeister Fritz Kuhn brachte in unserer Zeitung zwar sein Bedauern über die Aktion zum Ausdruck. Der Künstler hätte sich jedoch eine persönliche Entschuldigung gewünscht. Im Juli erhielt er einen Brief von Amtschef Schirner, in dem ihm dieser versicherte, dass die Stadt seine Anweisungen zur Pflege des Kunstwerks an der Nordwestspitze des Leibfriedschen Gartens selbstverständlich beachten werde. Die Vegetation könne dort ohne Rückschnitte in die Höhe wachsen, schrieb Schirner laut Auskunft eines Stadtsprechers. Einschränkend wies der Amtschef auf die „Verkehrssicherung“ hin, die gewahrt werden müsse. Heißt: Sollte der „Sanctuarium“-Bewuchs die Außenbereiche gefährden, müsse das Amt einschreiten. Grundsätzlich gelte: „Wir mähen außerhalb des Zaunes wie üblich die Langgraswiesen. Zweige, die durch den Zaun nach außen ragen, werden bündig abgeschnitten.“ Die sogenannten Trauerbänder an dem 2,85 Meter hohen Stahlzaun würden belassen. Kritiker hatten diese angebracht, um die , um ihren Protest gegen die Abholzaktion der Stadt zum Ausdruck zu bringen.

„Es müsste doch möglich sein, in einer Stadt wie Stuttgart . . .“

Damit hat die Sache allerdings keineswegs ihr Bewenden. Vergangene Woche ging die schriftliche Antwort des Künstlers im Rathaus ein. Darin kritisiert Herman de Vries die Unverbindlichkeit von Schirners Schreiben. Seine Formulierung mache wiederum „alles denkbar Eingreifen möglich“. Der 87-Jährige fordert von der Stadt Klarheit darüber, welche Maßnahmen zur Verkehrssicherung das „Sanctuarium“ betreffen würde. „Für mich wäre das beispielsweise höchstens der Fall, in dem ein Baum aus der eingezäunten Fläche herausfallen würde“.

Dann folgt harsche Kritik: „Der Stadt Stuttgart war das Konzept des Sanctuariums bekannt. Sie hat damals den Standort dafür ausgewählt, so dass ich darauf vertrauen konnte, dass der inhaltliche, gestalterische und künstlerische Aspekt meiner Arbeit respektiert und in Zukunft erhalten bleibt. Unter anderen, einschränkenden Bedingungen hätte ich der Umsetzung meiner Arbeit an diesem Ort nicht zugestimmt.“ De Vries, der 2015 den niederländischen Pavillon auf der Bienale in Venedig gestaltet hat und jüngst in der Galerie Geiger in Konstanz ausstellte, fühlt sich von der Stadt Stuttgart offenbar unverstanden. „Es müsste doch möglich sein, in einer Stadt wie Stuttgart auf einer kreisrunden Fläche von elf Metern Durchmesser ein Stück Natur zu schützen und sich ungehindert entwickeln zu lassen“, schreibt.

Sein Vertrauen zum Garten- und Friedhofsamt scheint nicht besonders groß zu sein. Seinen Brief schließt er mit den Worten: „Da das Sanctuarium innerhalb seiner Grenzen keine ,Pflege‘ benötigt, schlage ich vor, es dem Denkmalschutz zu unterstellen, statt dem Gartenbauamt – was für ein Kunstwerk die richtige Zuordnung wäre.“