Der Affalterbacher Reiner Bendix will sein Amt nicht wahrnehmen, wird von Bürgermeister und Gemeinderat aber gezwungen – ein seltenes Vorgehen. Woher kommt diese Härte?

Der Eklat im Gemeinderat ist erst eine Woche alt – aber die Welt ist nicht mehr dieselbe in dem Ort, in dem Mercedes-AMG für eine prall gefüllte Gemeindekasse sorgt. Ob man in der Chefetage des Motorenbauers überhaupt registriert hat, dass die Unabhängige Liste (Ula) im Gemeinderat geschwächt werden könnte – die Widerstandsbewegung, die gegen eine Ortsentlastungsstraße mobil macht? Die Arbeit im politischen Gremium wird sich jedenfalls verändern und es bleiben viele Fragezeichen.

 

1. Was ist passiert?

Nach dem Ausscheiden von Ula-Rätin Claudia Koch aus dem Gremium sollte Reiner Bendix nachrücken. Doch der Affalterbacher, der schon mal im Gemeinderat saß, wehrt sich mit zwei Attesten und Verweis auf seine gesundheitliche Situation sowie die Pflegebedürftigkeit seiner Mutter. Teile des Gemeinderats und Bürgermeister Steffen Döttinger erkannten diese Gründe aber nicht als dauerhaft mandatsverhindernd an. Bendix verließ laut schimpfend den Ratssaal und kündigte juristische Schritte an. Sein Platz bleibt vorerst unbesetzt.

2. Bricht die Fraktion?

Die politische Wirkung des Eklats reicht über den Einzelstreit hinaus. Der grüne Gemeinderat Thomas Stier hatte bislang eine Fraktion mit der Ula gebildet. Nach der Sitzung kündigte er an, sich der SPD-Fraktion anschließen zu wollen, sollte kein Ula-Vertreter mehr ins Gremium einziehen. Der Bruch könnte die Mehrheitsverhältnisse im Rat verschieben.

3. Wie ist die Rechtslage?

Laut Gemeindetag Baden-Württemberg besteht grundsätzlich die Pflicht, ein Gemeinderatsmandat anzunehmen. Eine Ablehnung ist nur mit „wichtigem Grund“ möglich. Das kann eine Krankheit sein, wenn sie die Ausübung des Ehrenamts dauerhaft erschwert oder unmöglich macht. Auch die Pflege von Angehörigen kann ein Grund sein – allerdings nur, wenn die Pflege dauerhaft und trotz Erstattung der Betreuungskosten neben dem Ehrenamt unzumutbar ist. Liegt kein anerkannter Grund für die Verweigerung vor, droht ein Ordnungsgeld von 50 bis 1000 Euro.

4. Was sagt der Experte?

Dass es so weit kommt, wie in Affalterbach, sei im Landkreis einmalig, so Landratsamt-Sprecherin Franziska Schuster. Auch Arne Pautsch sagt, dass er diese Vehemenz, mit der die Mandatsausübung rechtlich erzwungen werden soll, selten erlebt hat. Laut dem Professor an der Hochschule für Verwaltung in Ludwigsburg ist das Vorgehen rechtlich korrekt, dennoch zeigt er wenig Verständnis: „Machen Beispiele wie das in Affalterbach Schule, trägt dies sicher nicht zur Attraktivität der Tätigkeit als Gemeinderätin und Gemeinderat bei.“

5. Wem bringt das etwas?

Die Gemeindeverwaltung und ein Teil des Gemeinderats verfolgen seit Jahrzehnten das Ziel einer Ortsentlastungsstraße – ein Vorhaben, das insbesondere von der Ula kritisch begleitet wird. Auch in anderen lokalpolitischen Fragen stellen sich Ula-Vertreter häufig gegen die Mehrheit im Rat.

Sollte der Ula-Stuhl in den vielen Ratssitzungen also unbesetzt bleiben, wäre eine kritische Stimme weniger im Rat. Auch wenn dies offiziell keine Rolle spielt, werfen mehrere Quellen die Frage auf, ob ein leerer Stuhl für die Mehrheit des Rates als willkommener Vorteil gesehen wird.

6. Wurden Stimmen gefangen?

Ein weiterer Vorwurf, der von verschiedenen Seiten geäußert wird, ist der des Stimmenfangs. Auch in vielen anderen Orten kandidieren beliebte, oft bereits engagierte Personen – wie der bekannte Ex-Gemeinderat Reiner Bendix – um Stimmen zu gewinnen, dann das Amt aber nicht anzutreten oder nach einiger Zeit unauffällig ihren Sitz weiterzugeben.

„Das ist eine unverschämte Unterstellung“, sagt Claudia Koch, die für den Ula-Wahlkampf 2024 verantwortlich war. Bendix sei sehr engagiert gewesen, er habe immer vorgehabt, das Amt anzutreten. Die Hinderungsgründe waren vor einem Jahr jedoch noch nicht absehbar gewesen und hätten sich in letzter Zeit massiv verschärft.