Frauen, die ungewollt schwanger sind, brauchen keinen Generalverdacht und keine Schikane, sondern sachliche Information, kommentiert StN-Autorin Katja Bauer.

Berlin - Der neue Gesundheitsminister Jens Spahn verfügt über einen erstaunlichen Schatz an Lebenserfahrung – vor allem aus dem Leben anderer Menschen. Um den Respekt davor scheint es allerdings etwas knapp bestellt. In seiner ersten Woche im Amt hat der Mann Hartz-IV-Empfängern erklärt, was Armut ist. Nun sind die Frauen dran – und die Welt erfuhr, dass manchen der Tierschutz wichtiger sei als das Leben ungeborener Kinder.

 

Was eigentlich zur Debatte steht, ist der nackte Gesetzestext des Paragrafen 219 a, nach dem es strafbar ist, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren. Es droht Haft oder Geldstrafe. Das folgt kühl der Logik des Rechts, denn eine Abtreibung ist nach Paragraf 218 eine Straftat.

Einfach mal eine Runde abtreiben?

Es wäre interessant zu wissen, ob Herr Spahn eine einzige Frau kennt, die sich in einem Schwangerschaftskonflikt befunden hat, und ihr zugehört hat. Ob er weiß, wie viele Frauen sich ihr Leben lang an diese Entscheidung erinnern. Oder ob er einen Hinweis auf die Gefahr hat, dass Frauen leichtfertig mal eben eine Runde abtreiben lassen, weil sie auf einer Arztwebsite herumgesurft sind.

Denn nur darum geht es bei dem Streit über den Paragrafen 219 a, der so falsch als Werbeverbot für Abtreibung bezeichnet wird: um Information. Nicht um Radiojingles für den günstigen Eingriff to go. Anpreisende oder gar vergleichende Werbung ist Ärzten ohnehin verboten.

Das Problem ist übrigens ein altes. Es hat mehr als 20 Jahre kaum jemanden interessiert. Aber keine Frau sollte es haben, da es sie in einer Notlage schikaniert: Wer ungewollt schwanger ist, der hat an vielen Orten in dieser Republik ohnehin Mühe, einen Arzt zu finden und sich zu informieren.

Es war ein aktueller Fall, der nun ein Schlaglicht auf den Missstand warf: Kürzlich wurde eine Gießener Ärztin zu einer Geldstrafe verurteilt. Wie andere Kollegen auch war sie von radikalen Abtreibungsgegnern angezeigt worden. Hier zeigt sich ein Wandel in einem gesellschaftlichen Mikroklima: Wenige militante sogenannte Lebensschützer erzeugen immer mehr Druck, durch Internetkampagnen, Demos, Strafanzeigen.

Die Lunte an der Volksseele

Und in diesem Mikroklima liegt der tiefere Grund für die absichtliche Zuspitzung der Debatte, für das Legen einer Lunte an die derzeit so leicht entflammbare Volksseele. Gerade wenn es um schwierige Wertefragen geht, um einen gesellschaftlichen Konsens, dessen Erosion beklagt wird, dann können Emotionen – so das Kalkül – stärkere Bindungskräfte entfalten als jedes Sachargument.

Dass durch Aufheizung des Klimas jedes dieser Sachargumente einfach verdampft, dass Menschen denunziert und weggeboxt werden, die ohnehin nicht zur Wählerklientel gehören, mag für Spahn zu den Kollateralschäden zählen. Aber wer sich verantwortlich mit so schwierigen Themen wie Schwangerschaftsabbruch beschäftigen will, darf kein Zündler sein.

Es wäre dem Bundestag unlängst möglich gewesen, dieses Gesetz zu entschärfen und so der Lebenswirklichkeit anzupassen. Es gab dazu vor Vereidigung der neuen Regierung einen Gesetzesentwurf der SPD, der gute Aussichten auf eine Mehrheit gehabt hätte. Er wurde letzte Woche von Fraktionschefin Andrea Nahles dem jungen Koalitionsfrieden mit der Union geopfert. Das ist nachvollziehbar. Andererseits, es könnte ein zu hoher Preis gewesen sein: Spahns Äußerungen lassen darauf schließen, dass gewichtige Vertreter der Union nicht wirklich an der Suche nach einem Kompromiss interessiert sind.

katja.bauer@stzn.de