Es ist ein in Baden-Württembergs Geschichte einmaliger Vorgang: Die Großstadt Reutlingen will sich aus dem Landkreis lösen. Reutlingens Landrat Thomas Reumann hält von diesen Plänen nichts.

Reutlingen - Es ist ein in Baden-Württembergs Geschichte einmaliger Vorgang: Die Großstadt Reutlingen will sich aus dem Landkreis Reutlingen lösen und zum unabhängigen Stadtkreis werden. Reutlingen pocht auf die kommunale Selbstverwaltung und verspricht sich darüber hinaus einen finanziellen Vorteil von mindestens vier Millionen Euro im Jahr.

 

Reutlingens Landrat Thomas Reumann hält von diesen Plänen nichts: „Ich glaube nicht, dass eine kleine Großstadt und ein finanzschwacher Landkreis die Aufgaben für die Bürger besser erledigen können als der Kreis gemeinsam mit der Stadt“, sagte er am Freitag. Am Tag zuvor hatte die Stadt Reutlingen die seit einiger Zeit gehegten Pläne einer „Auskreisung“ im Gemeinderat mit umfangreichen Zahlen und Daten untermauert. Dieses Zahlenwerk möchte Reumann nun genau überprüfen, deswegen sprach er zunächst von einer „ersten Einschätzung“.

Qualitätsverlust befürchtet

Seiner Meinung nach würde die Zerschlagung von bestehenden Strukturen nicht zu einer Qualitätsbesserung, sondern zu einer Qualitätsverschlechterung beitragen. Es käme zu vielen Doppelstrukturen von Verwaltungsapparaten, die den Bürger letztlich verwirrten. „Die Stadt verkennt die enge Verflechtung von ländlichem Raum und der Stadt“, hielt Reumann dem Plänen entgegen. Er nannte als Stichworte Pendler mit ihren Wohn- und Arbeitsplatzbeziehungen, aber auch die Solidarität beispielsweise der Alb-Gemeinden, die sich an der Regionalstadtbahn beteiligen wollten, obwohl sie noch lange nichts davon hätten.

Reutlingens Argument, vieles im Bereich von Kultur, Bildung und Wissenschaft zu bieten, ohne vom Landkreis dafür einen Ausgleich zu erhalten, zieht für Reumann nicht. „Da liegt die Stadt falsch, es sind die Aufgaben eines Oberzentrums, nicht die einer Großstadt“, sagt er. Wenn man so argumentiere, hätten Tübingen, Friedrichshafen oder Lörrach das gleiche Recht, sich aus dem Kreis zu verabschieden. Die von Reutlingen erwarteten Mehreinnahmen von mindestens vier Millionen Euro jährlich nannte der Landrat „eine Momentaufnahme“. Sobald sich wirtschaftliche Verhältnisse verschlechterten, würde gerade eine Großstadt im Sozialbereich mehr investieren müssen als der ländliche Raum. Insofern würde das zu einer Mehrbelastung führen. Durch die Kreisumlage würden solche Veränderungen zumindest teilweise ausgeglichen. Dass der Landkreis finanzielle Verluste erleidet, wenn die Stadt bei der Kreisumlage ausschert, erwartet auch Reumann. Er geht davon aus, dass dieses Minus von zwei bis drei Millionen Euro über den Finanzausgleich vom Land oder anderen Kommunen mitgetragen werden muss.

Der Landtag entscheidet

„Es ist ein Vertrag zu Lasten Dritter“, betont der Landrat. Laut der Oberbürgermeisterin Barbara Bosch soll ein Landkreis Reutlingen ohne die Stadt durch die Erhöhung der Kreisumlage seine Einnahmesituation verbessern. Die sei im Vergleich zu anderen Landkreisen durchaus moderat, erklärte sie. Derzeit kommt Reutlingen der Einwohnerzahl entsprechend für 43 Prozent Prozent des Kreishaushaltes auf.

Ende Juni wird der Reutlinger Gemeinderat entscheiden, ob die Stadt beim Land beantragen wird, die Stadt zum Stadtkreis zu erklären, und somit die Trennung vom Landkreis. Die letzte Entscheidung wird der Landtag treffen. Die bestehenden Stadtkreise im Land sind vorwiegend in den Jahren 1938 und 1939 geschaffen worden. Bei der letzten Verwaltungsreform 1973 wurden viele Kreisgrenzen neu gezogen, die Stadtkreise blieben unangetastet. Außer dem Sonderfall Baden-Baden zählen sie mehr als 100 000 Einwohner. Reutlingen übersprang 1988 diese Grenze und zählt heute 112 000 Einwohner. Einschließlich der Großstadt hat der Landkreis Reutlingen 281 000 Einwohner. In Baden-Württemberg gibt es 35 Landkreise und neun Stadtkreise.