Paukenschlag in Stuttgart-Degerloch: Erst sollten die Tänzer rausgeschmissen werden, dann mussten die gehen, die die Tänzer loswerden wollten. Ob nun wieder Ruhe in Stuttgarts viertgrößtem Verein einkehrt, ist fraglich.

Degerloch - Irgendwann um Mitternacht lichteten sich so langsam die Reihen. Aber dass die mehr als 300 Sportler überhaupt solange durchgehalten hatten, zeigte, wie wichtig ihnen das Thema war. Es ging um die Zukunft ihres Tus Stuttgart, des größten Vereins auf der Waldau und von der Mitgliederzahl her gesehen immerhin die Nummer vier in Stuttgart. Wie beim alles überragenden VfB dieser Tage ging es auch in Degerloch am Freitagabend darum, die Chefetage loszuwerden. Und tatsächlich: Nach mehr als vier Stunden hitziger Debatten, schweren Vorwürfen und verzweifelten Erklärungsversuchen war der Vorstand, der erst vor einem Jahr in Amt und Würden gewählt worden war, wieder Geschichte. Aber anders als beim VfB war die Nachfolge hinter den Kulissen bereits vorher eingefädelt worden.

 

Zu den Fakten: In einer außerordentlichen Mitgliederversammlung wurden die bisherigen Vorsitzenden Thuy Pham, Dominik Samol und Klaus Kreiselmeier einer nach dem anderen mit deutlicher Mehrheit abgewählt. Zu den neuen Vorsitzenden wurden Thomas Frey, Alexander Zieschank sowie Gernot Piberger bestimmt. Letzterer war auch schon bis vor einem Jahr im Vorstand, ehe er im Streit und ziemlich gefrustet das Handtuch warf.

Ein krasser Fall von gestörter Kommunikation

Eben dieser Streit, das zeigte die jüngste Vergangenheit, war nach Pibergers Ende seinerzeit eben nicht zu Ende. Er wurde nur an anderer Stelle fortgeführt. Zuletzt sollte zum Beispiel die gesamte Tanzabteilung mit bis vor Kurzem noch 240 Mitgliedern gegen ihren Willen aus dem Verein rausgeworfen werden – was ein Gericht im letzten Moment dann aber kassierte. Vordergründig ging es um die Bezahlung von Trainern. Tatsächlich wohl eher um einen krassen Fall von ‚Wir reden nicht mehr miteinander‘. Letztlich war das vielen Tänzern zu heiß, etwa 40 haben inzwischen den Verein verlassen.

Leute, die es wissen müssen, lassen in der Mehrheit kaum ein gutes Haar am bisherigen Vorstand. Zwar sei es löblich, sich ehrenamtlich in einem so großen Verein zu engagieren. Doch sei die Aufgabe wohl zu groß gewesen, die Kommunikation habe gelitten, missliebige Personen seien geschnitten worden.

Die Abwahl hatte sich bereits abgezeichnet

„Kommunikation geht immer in zwei Richtungen“, sagt Pham. Sie habe in der Vergangenheit viel Respektlosigkeit erfahren. Dreckige Wäsche will sie aber nicht waschen, dafür sei das Thema ein zu sensibles. „Ich hoffe nur das Beste für den Tus und dass die neuen Vorstände das gut machen werden“, sagt die ehemalige Vereinsvorsitzende. Dass sie abgewählt wurde, hat sie nicht überrascht, die Zeichen der vergangenen Wochen hatte sie schon entsprechend gedeutet. Sie kann dem auch etwas Gutes abgewinnen. „Ich bin eine Mutter und freue mich, jetzt wieder mehr Zeit mit meinen Kindern verbringen zu können.“

Auch der neue Vereinsvorsitzende Thomas Frey will den Streit hinter sich lassen. „Wir wollen wieder Ruhe in den Verein bekommen und uns wieder auf die Sachthemen konzentrieren“, sagt er. Man wolle kein Öl ins Feuer gießen. „Vorrangiges Ziel ist es, den Fokus auf den Tus zu richten.“ Dass dies klappen wird, daran hat er keinen Zweifel. „Wir haben jetzt ein sehr gutes Team“, sagt Frey.

Der Streit um die Deutungshoheit hat schon begonnen

Gleichwohl, dass will er nicht bestreiten, kam das Wahlergebnis für ihn nicht wirklich überraschend. Er habe sich an dem Freitagabend ja nicht kurz entschlossen aufstellen lassen. „Es war notwendig, Schaden vom Verein abzuwenden“, sagt er. Zwar habe er ursprünglich nicht vorgehabt, irgendwann die Geschicke des Tus zu lenken. Aber „irgendwann muss man mal Flagge zeigen und Verantwortung übernehmen“, sagt Frey.

Ob der Rauswurf des alten Vorstands nun einen Neuanfang bedeutet oder nicht, darf man sich deshalb schon fragen. Denn mit Frey wurde eben kein Unabhängiger gewählt. Er ist stellvertretender Abteilungsleiter in der Tanzabteilung und war also mittendrin in dem Streit, der hinter den Kulissen tobte. Und schon gibt es auch wieder verschiedene Deutungen des denkwürdigen Abends. Die einen sagen, so viele der 5000 Mitglieder seien selten bei einer solchen Versammlungen anzutreffen gewesen, neben vielen Tus-Veteranen seien auch viele jüngere Mitglieder des vereinseigenen Fitnesszentrums Tus-Fit gekommen. Andere sagen, dass sehr viele Tänzer gekommen waren und das Ergebnis verzerrt hätten.

Die Kritik will Frey nicht stehen lassen. „Ich werde mich sehr bemühen, ein objektives Auge zu behalten“, sagt er. Außerdem sei er ja auch nur einer von Dreien im neuen Vorstand.