Auf der Rohrer Höhe bei Stuttgart-Vaihingen haben sich der Fahrlehrer Jochen Klima und der Radaktivist Thijs Lukas zu einem Streitgespräch getroffen – und kamen auffallend oft zum selben Schluss.

Lokales: Tom Hörner (hör)

Stuttgart - Unser Treffpunkt auf der Rohrer Höhe war mit Bedacht gewählt. Hier beginnt die Hauptradroute 1, die quer durch die Stadt bis in den Norden nach Fellbach führt. Überquert man die kaum zu überhörende A 8 auf einem Steg, landet man auf dem Radschnellweg nach Böblingen.

 

Der Radler will die Autos nicht abschaffen

Der Platz ist wie geschaffen dafür, um einen Autofahrer und einen Radfahrer aufeinander loszulassen. Für die Rolle des Automobilisten konnten wir Jochen Klima gewinnen. Der Chef des Fahrlehrerverbandes Baden-Württemberg ist ein leidenschaftlicher Auto- und Motorradfahrer. Den Radfahrer gab Thijs Lucas, Mitinitiator des Radentscheids Stuttgart, eine Bürgerinitiative, die sich zum Ziel gesetzt hat, dass Stuttgart Fahrradstadt wird. Lucas arbeitet als Ingenieur bei Porsche, sollte also über den Verdacht erhaben sein, dass er Autos abschaffen will. „Aber in der Stadt“, sagt er, „macht Autofahren kaum noch Spaß.“ Für eine Cabrio-Ausfahrt durch den Schwarzwald ist Lucas durchaus zu haben. Dort könnte er auf Jochen Klima auf seiner schweren Maschine treffen, die leise wie ein Kätzchen schnurrt. „Es gibt auch Motorräder, die serienmäßig keinen Lärm machen“, sagt der Fahrlehrer.

Wann haben Sie sich das letzte Mal geärgert?

Frage zum Einstieg an den Autofahrer: Wann haben Sie sich zum letzten Mal über einen Radler geärgert? Das sei gerade auf dem Weg zum Interview gewesen, sagt Klima, als „ein Radfahrer mit Karacho über einen Zebrastreifen geprescht“ sei. Wann hat den Radler zuletzt ein Autofahrer geärgert? Er habe sich vorgenommen, sich nicht mehr aufzuregen, sagt Thijs Lucas. „Mittlerweile bin ich abgehärtet.“ Die letzte brenzlige Situation liege länger zurück. Als seine Mutter ihn besucht habe und er mit ihr unterwegs war, sei sie auf dem Rad mit nur wenig Abstand von einem Bus überholt worden. „Da ist mir das Herz in die Hose gerutscht.“

Abstand ist oberstes Gebot – aber nicht immer leicht zu halten

Abstand ist ein gutes Stichwort, das sich auch durch unsere Serie „Radort Stuttgart“ zieht, in der wir Leserinnen und Leser mit einer Kesselbox ausstatten, einem Gerät zum Ermitteln der Entfernung beim Überholtwerden. Nur ist das mit dem Abstand gar nicht immer so einfach. Radexperte Lucas nennt ein Beispiel: Im unteren Teil der Kaltentaler Auffahrt sei die Straße so schmal, dass eigentlich kein Platz zum Überholen da sei. „90 Prozent der Überholvorgänge hier sind illegal.“ Fahrlehrer Klima kann das nur bestätigen: „Wenn ich die anderthalb Meter nicht einhalten kann, dann herrscht Überholverbot.“ Ganz ähnlich, so Klima, sei die Situation oft auf engen Landstraßen, wo Autofahrer sich kaum an die hier gültigen zwei Meter Abstand halten könnten. Sein Fazit: Es reiche nicht, strengere Regeln aufzustellen. Die Infrastruktur müsse den Regeln angepasst werden. Zustimmendes Nicken beim Radler.

Paragraf eins der Straßenverkehrsordnung

Wie überhaupt oft Übereinstimmung herrscht bei unserem als Streitgespräch initiierten Treffen. Was auch daran liegt, dass beide Diskutanten gleich anfangs den ersten Paragrafen der Straßenverkehrsordnung ins Spiel bringen: Oberstes Gebot ist die gegenseitige Rücksichtnahme, sagt Lucas – Autofahrer auf Radfahrer, Radfahrer auf Autofahrer. Alle auf Fußgänger.

Kann der Autofahrer mit der Radstadt leben?

Dass irgendwann 25 Prozent des Verkehrs in Stuttgart über Räder abgewickelt wird, ist für Lucas kein grünes Wunschdenken, sondern realistisch. Kann der Autofahrer damit leben, dass eine Initiative Stuttgart zur Radstadt machen will? Aber ja, sagt Klima, „die Zeiten, dass Städte nur für Autos gebaut werden, die sind auch aus Fahrlehrersicht vorbei“. Das schlage sich auch in der Fahrschule nieder, der Radverkehr gehöre „zum elementaren Bestandteil“. Über allem stehe die europaweite Vision Zero, deren Ziel es sei, dass kein Mensch mehr im Straßenverkehr sein Leben lasse. Das sei zwar ambitioniert, aber das Motto „Jeder kommt an, keiner kommt um“ gelte für alle, egal, wie einer unterwegs sei.

In der Fahrschule viel übers Radfahren gelernt

Apropos Fahrunterricht, da habe er viel übers Radfahren gelernt, sagt Lucas. Seine ersten Runde in einem Auto drehte er in seiner Heimatstadt Bremen, „die war damals schon Fahrradstadt“. Noch gut erinnert er sich daran, wie er mal ziemlich dicht an einem Radler vorbeifuhr. „Mein Fahrlehrer, ein guter Mann, wenn auch nicht unbedingt ein Radfahrer, hat mir auf den Oberschenkel gehauen und gefragt: ‚Was hättest du gemacht, wenn der umgefallen wäre?‘“

Nur bei der Helmpflicht herrscht keine Einigkeit

Nur was die Helmpflicht betrifft, sind die Diskutanten sich nicht einig. Radler Lucas schüttelt den Kopf. Helme hält er zwar für sinnvoll, aber eine Pflicht, fürchtet er, würde viele Leute vom Radfahren abhalten. Jochen Klima, der sich als Motorradfahrer längst an seinen Helm gewöhnt hat, gibt zu bedenken: „Wenn der Helm nur einen Toten verhindert, hat sich das Tragen schon gelohnt.“ Auch wenn in dem Punkt keine komplette Einigkeit herrscht – das ist kein Grund, sich die Köpfe einzuschlagen.