Missen will sie wohl niemand: die Streuobstwiesen im Südwesten. Doch ihr Fortbestand steht auf dem Spiel. Beispiele von Menschen in Baden-Württemberg, die retten wollen, was zu retten ist.

Saftiges Gras, blühende Bäume und jede Menge Insekten, die im Frühling über die Streuobstwiesen schwirren – so sieht es derzeit in Baden-Württemberg aus. Doch dieses Bild ist bedroht. Seit den 1950er Jahren sind die Streuobstwiesen in Baden-Württemberg um 75 Prozent zurückgegangen. „In Europa sogar um 90 Prozent“, sagt der Nabu-Experte und Grünen-Abgeordnete Markus Rösler. Die Gründe dafür sind vielfältig: der hohe Pflege- und Arbeitsaufwand, fehlende Rentabilität oder der Bau neuer Wohngebiete.

 

Doch Streuobstwiesen sind wichtig: „Sie sind ein Hotspot biologischer Vielfalt im Europa nördlich der Alpen“, sagt Markus Rösler. Derzeit gebe es noch 7,1 Millionen Streuobstbäume im Südwesten. Um den Status quo jedoch zu erhalten, müssten jährlich 100 000 Bäume gepflanzt werden. Ideen gibt es aber genug. Wir stellen Beispiele aus Baden-Württemberg und Hessen vor.

Grüngruppe und Café Pausa in Mössingen

In Mössingen im Kreis Tübingen befindet sich einer der größten Bestände an Streuobstwiesen in der Region Neckar-Alb. Noch vor 100 Jahren habe dort jeder in Mössingen Streuobst gehabt, sagt Marcus Hölz, Geschäftsführer des Inklusionsunternehmens Arbeit in Selbsthilfe. Viele Wiesen seien heute aber in erbärmlichem Zustand. Deshalb kümmern sich mittlerweile drei Grüngruppen das ganze Jahr über um die Streuobstwiesen. Die 16 Menschen mit und ohne Behinderung schneiden Bäume, mähen Wiesen, ernten und verarbeiten das Obst.

Auf die Idee kam Marcus Hölz im Jahr 2014. „Ich habe den Bedarf an Unterstützung auf den Streuobstwiesen gesehen, gleichzeitig wollte ich eine sinnvolle und nachhaltige Tätigkeit für die Menschen mit Behinderung schaffen, in der jeder seine Fähigkeiten einsetzen kann.“ Mittlerweile haben sie die Dorfmosterei in Bodelshausen übernommen und die Cafés Pausa und Weitwinkel sowie zwei Läden eröffnet. In der Mosterei wird ein Teil des Obsts zu Saft verarbeitet, der in den Cafés und Läden verkauft wird. Aus dem Rest werden in der hauseigenen Manufaktur Kuchen, Marmeladen, Tees, Riegel und vieles mehr hergestellt. Insgesamt konnten so etwa 200 Wiesen vor dem Verfall gerettet werden, sagt Hölz. Die eine Hälfte auf kommunalen Flächen, die andere auf privaten.

Streuobstpädagogen im Schönbuch

Beate Holderied gründete 2012 den Verein Streuobstpädagogen. Zuvor war sie bereits mehr als zehn Jahre mit Kindern und Jugendlichen auf Streuobstwiesen im Schönbuch unterwegs, um ihnen Wissen und Freude an der Natur zu vermitteln. Seitdem habe sie von Lübeck bis Meersburg über 1000 Streuobstpädagoginnen und -pädagogen ausgebildet. In 90 Unterrichtseinheiten lernen sie, Obst- und Vogelarten zu bestimmen, Obstbäume zu pflanzen und zu schneiden, Wiesen zu pflegen und das Obst zu verarbeiten. Der Fokus liege aber auch auf der didaktischen und pädagogischen Arbeit, erklärt Beate Holderied. Jährlich lernen rund 7000 Kinder, was innerhalb eines Jahres auf Streuobstwiesen passiert. „Immer wieder bekommen wir Rückmeldungen, dass Kinder ihr Wissen in die Familien getragen haben und die jetzt Interesse an der Bewirtschaftung von Streuobstwiesen haben“, sagt sie. Ihre ersten Schützlinge von 2003 sind inzwischen erwachsen, fragen aber immer wieder nach, wie es den damals gepflanzten Bäumen geht.

Obstvergabe Ostfildern

Seit drei Jahren darf in Ostfildern kostenlos Obst geerntet werden – bei vorher ausgewählten Bäume. „Ziel ist es, das Obst nicht mehr verkommen zu lassen“, erklärt der Sprecher der Stadt, Dominique Wehrle. Denn wenn sich keiner um die Bäume kümmert, fallen die Früchte zu Boden und verfaulen. Das freut zwar Insekten und andere Tiere, dennoch gehen dabei lokal angebaute Nahrungsmittel verloren.

Bürgerinnen und Bürger der Stadt Ostfildern können deshalb online über eine interaktive Karte eine Ernteerlaubnis für bestimmte Bäume einholen. Ein Hinweisschild, das selbst angebracht werden muss, soll das Abernten durch Unbefugte unterbinden. Wer eine Erlaubnis eingeholt hat, darf die reifen Früchte ernten. Wer keinen Obstbaum ergattern konnte oder die viele Früchte eines einzigen Baumes nicht alleine ernten möchte, kann sich an den „Obstbäumen für alle“ bedienen, die ebenfalls unter der Rubrik Obstvergabe auf der Webseite der Stadt Ostfildern zu finden sind. Da dieses Obst für alle reichen soll, darf nur eine kleine Menge geerntet werden. „Die Obstvergabe war in den vergangenen Jahren stets ein großer Erfolg“, so Dominique Wehrle. Zu ernten gebe es frühe Sorten wie Kirschen und Zwetschgen sowie Äpfel, Birnen und Walnüsse. In diesem Jahr werden die Obstbäume ab Mai vergeben.

Streuobstwiesenretter im Odenwald

In der Region Bergstraße-Odenwald in Hessen haben sich 2011 die Streuobstwiesenretter formiert. „Als wir angefangen haben, waren viele Wiesen in Richtung Odenwald zugewachsen“, sagt Florian Schumacher von der Initiative. „Wir wollten das Rad der Zeit zurückdrehen und das Kulturerbe wieder sichtbar machen.“ Das sei ihnen gelungen, mittlerweile sehe man wieder viel mehr gepflegte Streuobstwiesen.

Die Initiative versteht sich als gemeinnütziger Dienstleister aus vielen Ehrenamtlichen, bei denen wichtige Informationen zusammenlaufen. „Dann müssen die Leute nicht so lange suchen“, erklärt Schumacher. Außerdem organisiere die Initiative jährlich eine Sammelbestellung neuer Obstbäume, sodass diese günstiger bei Baumschulen eingekauft werden könnten. Zudem gebe es Pflegehinweise und Wildverbissschutze, damit die Jungbäume überleben.

5000 Bäume wurden bisher mithilfe der Streuobstwiesenretter gepflanzt. Um etwa 300 Bäume auf zwölf Hektar kümmere sich die Initiative selbst, sagt Schumacher. Angefangen habe alles auf kommunalen Flächen, die ursprünglich bebaut werden sollten. Da das Vorhaben scheiterte, wurden die Bäume sich selbst überlassen. Die Streuobstwiesenretter übernahmen damals die Pflege.