Die Streuobstwiesen sind in einem besseren Zustand als ihr Ruf. In den nächsten Woche beschäftigt sich die Redaktion mit dem Thema Streuobst.

Plieningen - Die Lage ist ernst. Aber es ist nicht alles schlecht. Im Gegenteil: Es gibt viel Positives zu berichten über die Streuobstwiesen. Das betont Wolfgang Feldner immer wieder, das ist ihm wichtig. Der 50-Jährige muss es wissen. Denn Feldner kennt sich aus. Wenn er zwischen Hummelberg, Täle und Heidäcker unterwegs ist, dürfte er kaum einen Flecken finden, den er noch nicht beackert hat. Wolfgang Feldner hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Plieninger Streuobstwiesen zu pflegen, die im Naturschutzgebiet Weidach- und Zettachwald liegen.

 

In manchen Wochen im Jahr ist der selbstständige Informatiker jeden Tag draußen im größten noch zusammenhängenden Streuobstgebiet Stuttgarts. Er legt selbst Hand an, „weil es mir um den Erhalt der Natur geht“, sagt er.

Etwa 90 Prozent jener Streuobstwiesen, so sagt es Feldner, seien in Privatbesitz. Der Rest gehöre dem Land oder der Stadt. „Es ist ein Irrtum zu sagen, diese Wiesen seien nicht bewirtschaftet“, sagt er. Allein rund zwei Hektar hat Feldner selbst gepachtet. Regelmäßig mäht er dort zum Beispiel das Gras oder legt Komposthaufen an, auch für benachbarte Grundstücksbesitzer tut er das. „Es gibt hier keine Wiese mehr, die nicht in Schuss gehalten ist“, sagt er mit Stolz in der Stimme.

Die Anzahl der Streuobstbäume sinkt

Trotzdem ist nicht alles gut bestellt um das Gebiet. Denn anders als bei den Wiesen sieht es mit den Obstbäumen aus – nämlich eher mau. Gut 1000 von ihnen wachsen in dem Naturschutzgebiet. „Und drei Viertel davon sind in absterbendem Zustand“, sagt Feldner. 70 Bäume hat er in den vergangenen Jahren nachgepflanzt – viel zu wenig, um den Bestand auf Dauer zu erhalten. Eigentlich, so sagt es der Fachmann, der sich schon seit seiner Jugendzeit mit Streuobstwiesen beschäftigt, „sind die Eigentümer verpflichtet, jeden abgängigen Baum nachzupflanzen“. Dies aber macht kaum einer.

Das ist nicht nur in Plieningen so, sondern in ganz Baden-Württemberg. Während 1965 noch fast 18 Millionen Streuobstbäume gezählt wurden,waren es 2009 nur noch 9,3 Millionen Bäume. Damit hat sich der Bestand an Streuobstbäumen im Land in den vergangenen fünfzig Jahren quasi halbiert. Doch warum ist das so?

Für Wolfgang Feldner gibt es viele Gründe, warum die Eigentümer der Grundstücke ihre Bäume nicht mehr pflegen oder nachpflanzen. Da wäre zum einen die Historie der Streuobstwiesen. „Zwischen 1700 und 1900 dienten die Obstbäume der Ernährung und Vitaminversorgung, auch für die Mostherstellung war das eigene Grundstück unerlässlich“, erläutert Feldner. Heute hingegen bekommen die Menschen ihr Obst an jeder Ecke, die meisten kaufen es schlicht im Supermarkt. Die in Baden-Württemberg übliche Realteilung habe zudem für immer kleinere Grundstücke gesorgt – deren Bewirtschaftung lohne sich einfach nicht mehr.

Ein Bewusstsein für den Erhalt ist Streuobstwiesen ist vorhanden

Die mangelnde Wirtschaftlichkeit ist es denn auch, die Feldner als Hauptgrund für die Vernachlässigung der Streuobstwiesen ausgemacht hat. Darüber kann er sich in Rage reden. Zwischen 3,50 und 13 Euro pro 100 Kilogramm angeliefertem Obst zahlten die wenigen Mostereien, die es in der Region noch gibt. Viel zu wenig sei das, wettert Feldner, „eigentlich wären 20 Euro pro Doppelzentner nötig“. Das sei nur durch Aufpreismodelle möglich, wie sie etwa der BUND-Regionalverband Bodensee-Oberschwaben in Ravensburg anbiete. Dort werden derzeit 17,90 Euro pro Doppelzentner bezahlt. Feldner macht eine einfache Rechnung auf: „Wenn einer in Ulm wohnt, fährt der nicht her, um 150 Kilo Äpfel für neun Euro aufzusammeln.“ Mit mangelndem Interesse habe das nichts zu tun, „das lohnt sich einfach hinten und vorne nicht“.

Entgegen der landläufigen Meinung „gibt es durchaus ein Bewusstsein für den Erhalt der Streuobstwiesen“, sagt Feldner. Vor allem ältere Leute hätten oft einen engen Bezug zum Streuobst, „die wissen um den Wert dieses Lebensmittels“, sagt er. Das freilich bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich dieses Bewusstsein auch in konkretem Handeln Bahn bricht. Vielmehr braucht es offenbar gezielte Angebote, um die Besitzer aus der Reserve zu locken.

Das hat die Plieninger Gruppe der Lokalen Agenda 2009 deutlich zu spüren bekommen. Die Ehrenamtler wollten seinerzeit die Grundstücksbesitzer der Heidäcker bei einem Infoabend zu einem besseren Umgang mit den Obstbäumen auf ihren Wiesen animieren. Das Vorhaben scheiterte – gerade einmal fünf Besitzer wollten sich die Pläne der Lokalen Agenda zur Rettung der Streuobstwiesen anhören.

„Da hat eben die Natur Vorrang“

Erfolgreicher war da schon ein Projekt der Stadt, die sich im Folgejahr mit Hilfe des Plieninger und Birkacher Bezirksrathauses an die Grundstücksbesitzer wandte. „Wir boten einen Baumschnitt für zehn bis 20 Euro pro Stück an“, sagt die Landwirtschaftskoordinatorin Ulrike Greifenhagen-Kauffmann. Das sei auf großes Interesse gestoßen, bei einem Aktionstag seien auf diese Weise 80 bis 100 Bäume geschnitten worden.

Allein, mit einem einzigen Schnitt sei es nicht getan, gibt Wolfgang Feldner zu bedenken: „Die Bäume müssen regelmäßig gepflegt werden.“ Zudem ist es dem Fachmann ein Anliegen, auch die Menschen zu sensibilisieren, die sonst wenig pfleglich mit Streuobstwiesen umgehen oder sie sogar als Selbstbedienungsladen betrachten. Nicht nur dreiste Obstdiebe, die oft wenig Einsicht zeigten, sondern insbesondere viele Hundebesitzer sind Feldner ein Dorn im Auge. „Da fehlt jegliches Verständnis“, kritisiert er – die Herrchen ließen ihre Vierbeiner durch Wiesen rennen, ihr Geschäft unter den Bäumen verrichten. „Hier handelt es sich um ein Naturschutzgebiet, zudem sind das Privatgrundstücke. Streng genommen ist sogar das Betreten verboten“, sagt er. Würden sich die Menschen rücksichtsvoller verhalten, sei den Streuobstwiesen schon gut gedient. „Da hat eben die Natur Vorrang“, sagt Feldner.

Aber vielleicht liegt die Zukunft der Streuobstwiesen auch in kreativen Vermarktungsmodellen. So wie dem von „Das Geld hängt an den Bäumen“, einer gemeinnützigen GmbH in Hamburg. Die bringt Streuobstwiesenbesitzer und Behinderte zusammen. Letztere ernten die Äpfel, die Erstere anbieten. Aus dem Obst machen die Erntehelfer Saft, der dann mit Aufpreis verkauft wird. Aus dem Erlös werden die Arbeitsplätze finanziert. Gut möglich, dass so etwas auch in Plieningen funktioniert.