Regina Fuchs hat 16 Jahre lang den Strohgäuladen geführt. Nun geht sie in den Ruhestand, wird der Tafel aber als Helferin die Treue halten. Am Sonntag wurde sie verabschiedet. Die Nachfolgerin der 65-Jährigen ist Martina Holler.

Ditzingen - Arbeitslose, Witwen, Rentner, Flüchtlinge: Wer in den Strohgäuladen in Ditzingen kommt, der lebt am Existenzminimum. Muss jeden Euro zwei Mal umdrehen, muss möglichst günstig einkaufen. Für einen Erwachsenen bedeutet Existenzminimum derzeit, höchstens 8820 Euro im Jahr zur Verfügung zu haben – oder 735 Euro im Monat.

 

Regina Fuchs, die den Strohgäuladen 16 Jahre lang geleitet hat und jetzt in den Ruhestand gegangen ist, begegnet dem Existenzminimum, indem sie sich für die Bedürftigen einsetzt und dafür sorgt, dass diese mit vollen Einkaufstaschen heimgehen. Alle Lebensmittel, Haushaltsgeräte, Spielzeuge und Blumen sind gespendet. Die Bedürftigen zahlen daher bloß einen Bruchteil der üblichen Verkaufspreise. „Eine Brezel gibt es für 20 Cent, ein Kilo Brot für 50 Cent“, sagt Fuchs. Die 65-Jährige springt künftig als Aushilfe ein, „wenn’s klemmt“. Von ihrer Arbeit, in die sie „viel Herzblut“ gesteckt hat, kann sie sich eben nicht so leicht trennen. Fuchs’ Nachfolgerin ist seit dem 1. Oktober Martina Holler.

Viele Bedürftige schämen sich für ihre Situation

Der Tafelladen liegt in Ditzingens Stadtmitte – und doch versteckt genug, um eine gewisse Anonymität zu bieten. Denn viele Bedürftige schämen sich dafür, dass sie auf den Strohgäuladen angewiesen sind. Derzeit dürfen rund 300 Personen beziehungsweise Familien dort einkaufen. Täglich kommen etwa 70 Bedürftige, davon sind rund ein Drittel Flüchtlinge. Ist die Armut gewachsen? Regina Fuchs nickt. Sie wirkt nachdenklich. Sie hat das Gefühl, dass immer mehr Menschen im reichen Strohgäu und Landkreis Ludwigsburg arm sind. Menschen, die es eigentlich nicht geben dürfte, die nicht in dieser Situation sein dürften.

Fuchs’ Eindruck spiegelt sich in den Zahlen wider: Im Landkreis Ludwigsburg haben im vergangenen Jahr 2328 Menschen Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen. Im Vorjahr 2015 waren es 2259, vor zehn Jahren rund 1700 Personen. Fast 16 Prozent dieser Bedürftigen lebten 2016 im Strohgäu. Das entspricht rund 360 Menschen.

Äpfel sind rar, Kartoffeln reichlich

Im vergangenen Jahr durften 350 Bedürftige aus dem Umkreis im Strohgäuladen einkaufen, wobei: Zahlreiche Bedürftige trauten sich nicht mehr nach Ditzingen. „Es ist sehr hektisch geworden, vor allem ältere Witwen empfinden das so“, sagt Fuchs. Damit meint sie, dass sich schon mehr als eine Stunde, bevor der Laden öffnet, eine Schlange vor der Tür bildet. Der Strohgäuladen, sagt Fuchs, ist auch ein Treffpunkt. Ein Ort, an dem die Bedürftigen sich austauschen. Im Laden selbst dürfen außerdem inzwischen nur noch fünf Menschen gleichzeitig einkaufen, früher waren es mal zehn, dann acht. Die Mitarbeiter verlieren sonst den Überblick, zu eng und zu klein sind die Räumlichkeiten.

Knapp sind manchmal auch die Lebensmittel. Dann müssen Fuchs und ihre Kollegen sie rationieren. Der Bufdi, der junge Mann, der seinen Bundesfreiwilligendienst in der Tafel macht, fährt jeden Vormittag alle Geschäfte ab und sammelt Lebensmittel ein, die sonst weggeworfen würden. „Backwaren erhalten wir immer genug, doch Fleisch, Wurst und Milchprodukte fehlen uns“, sagt Fuchs. Alle Läden im Kirchenbezirk Ditzingen spendeten Lebensmittel, doch es könnten mehr sein. Wegen Lebensmittelskandalen hielten sich die Geschäfte mit Fleisch- und Wurstspenden zurück. Und auch wenn Bauern schlechte Ernten haben, spürt die Tafel das. In diesem Jahr sind zum Beispiel die Äpfel rar. Dafür hat es reichlich Kartoffeln.

Gelernt, am Abend abzuschalten

Der Kirchenbezirk Ditzingen unterhält die Tafel im Rahmen seiner kirchlichen Sozialarbeit seit 1998. Im April hat das „Parlament“ der evangelischen Kirchengemeinden im Bezirk Ditzingen, die Bezirkssynode, die Bestandsgarantie der Tafel bis Ende 2021 verlängert. Fuchs ist froh darüber. Sie ist sich sicher, dass die Armut auch weiterhin zunimmt. „Ganz bestimmt, wenn noch mehr Flüchtlinge kommen“, sagt Fuchs. Zudem sieht sie eine wachsende Altersarmut, besonders bei Frauen. „Früher waren die Zeiten anders. Die Frauen sind zuhause geblieben oder haben in Teilzeit gearbeitet“, sagt Fuchs. Stirbt der Ehemann, kann die Witwenrente knapp werden.

In den vergangenen Jahren hat Fuchs viele Schicksale erlebt. Schnell hat sie gelernt, dass sie am Abend abschalten muss. Und wie gut es ihr eigentlich geht. Dafür ist sie dankbar. Fuchs schmiedet schon Pläne für den Ruhestand. Sie liebt es zu reisen, in Städte und ans Meer. Sie will sich Zeit für ihre beiden Enkel nehmen und vielleicht einen Computerkurs belegen. Heute steht die 65-Jährige aber erst mal wieder im Strohgäuladen. Am Erntedankfest werden immer besonders viele Lebensmittel gespendet. Die Mitarbeiter und Ehrenamtlichen haben dann alle Hände voll zu tun.