Grüne Energie? Das deutsche Nachbarland setzt lieber auf den Ausbau der Kernenergie und auf seine Kohlekraftwerke. Dabei spielt auch der Wunsch nach einer größeren Unabhängigkeit von russischen Lieferungen eine Rolle.

Warschau - Deutschland steigt aus, Polen steigt ein. Der politische Gleichklang, den die Regierungen der beiden Nachbarländer in vielen internationalen Angelegenheiten demonstrieren, erstreckt sich nicht auf das Feld der Energiepolitik. Während am Rhein und an der Elbe die Kernenergie auslaufen soll, plant Polen den Bau eines ersten Atomkraftwerks. Nach einem jetzt vom Kabinett in Warschau beschlossenen Zeitplan soll in zehn Jahren, 2024, an einem vorerst nicht benannten Ort in Polen, wahrscheinlich an der Ostseeküste Pommerns, der erste Reaktor angefahren werden. Eine zweite Anlage soll bis 2035 folgen.

 

Der Unterschied der nationalen Energiepläne ergibt sich daraus, dass die Ausgangslage und die historischen Erfahrungen sehr verschieden sind. Für die Polen ist der Dreh- und Angelpunkt die Erblast aus der Zeit des Kommunismus, zu der auch eine hohe Abhängigkeit von russischen Energielieferungen gehört. Beispielsweise wird der Bedarf an Gas derzeit zu 70 Prozent und an Erdöl zu 90 Prozent aus Russland gedeckt. Wichtigstes Ziel der Energiepolitik ist deshalb eine größtmögliche Autarkie, die auf der Nutzung eigener Rohstoffe und der Diversifikation der Energiearten basieren soll. Der Bau eines Terminals in Swinemünde (Swinoujscie) soll von diesem Jahr an den Bezug von Flüssiggas aus Katar ermöglichen.

Der wichtigste eigene Rohstoff sind große Vorräte an Braun- und Steinkohle. In Oberschlesien werden sie schon seit Langem in großem Stil abgebaut. Rund 90 Prozent der Elektrizität werden derzeit in Polen aus Kohle erzeugt. Da alte Kohlekraftwerke, die Kohlendioxid und weitere Schadstoffe in großen Mengen ausstoßen, demnächst auslaufen, will die Regierung ein bestehendes Kohlekraftwerk im schlesischen Oppeln (Opole) um zwei Blöcke mit jeweils 900 Megawatt erweitern – gegen Proteste aus der EU, insbesondere aus Deutschland.

Auch Deutschland baue Kohlekraftwerke, heißt es in Warschau

Man kontert in Warschau mit dem Hinweis, Deutschland emittiere viel mehr CO2 als Polen und baue derzeit neue Kohlekraftwerke mit 9000 Megawatt Kapazität, einem Vielfachen also. Die Vereinigung der polnischen Elektrizitätsgesellschaften erklärte jüngst: „Es ist Zeit, den Mythos zu zertrümmern, dass Polen hauptverantwortlich für eine Verlangsamung bei der Reduktion der CO2-Emissionen sei.“

Die polnische Regierung plant auch die Erschließung großflächiger neuer Braunkohle-Tagebaue. Zugleich setzt sie große Hoffnungen auf die offenbar beträchtlichen Vorräte an Schiefergas, die derzeit durch Probebohrungen erkundet werden. „Die Zukunft der polnischen Energie liegt in der Braun- und Steinkohle und ebenso im Schiefergas“, sagt Premierminister Donald Tusk. Dabei solle die Kohle „in modernster und umweltfreundlichster Weise“ ausgebeutet werden.

Wie in anderen Ländern wird die Planung neuer Atomkraftwerke aber durch Finanzprobleme und die Erinnerung an das Atomunglück von Fukushima beeinträchtigt. Der Überschuss auf dem Strommarkt und der daraus folgende Preisverfall erschweren jede Kalkulation, ob ein heute projektiertes Kernkraftwerk in zehn Jahren überhaupt rentabel Strom erzeugen kann. Wie im Fall des tschechischen Atomkraftwerks Temelin, das um zwei Blöcke erweitert werden soll, wird deshalb auch in Polen über mögliche Staatssubventionen diskutiert. Über einen Standort des geplanten Kernkraftwerks wird erst 2016 entschieden, also nach der nächsten Parlamentswahl, die im Sommer 2015 ansteht. Infrage kommen 27 Orte, einige davon unweit der deutschen Grenze gelegen. Dies hat in Brandenburg bereits einige Proteste hervorgerufen.

Die in Polen noch auf schwachen Füßen stehenden Umweltgruppen hingegen argumentieren, es müsste stattdessen viel mehr Energie gespart und viel mehr erneuerbare Energie erzeugt werden. Hier steht die Entwicklung ganz am Anfang. Derzeit wird erst ein Gesetz dafür erarbeitet. Es gibt bis jetzt nur wenige Windparks, auch Sonnenenergie wird kaum genutzt.