Ist es berechtigt, dass Biologiestudenten im ersten Semester tote Tiere zerlegen müssen? Darüber haben Studierende der Uni Hohenheim kontroverse Ansichten. Ein provokantes Filmchen einer Tierschutzorganisation hat in der Vorlesung Erheiterung ausgelöst.

Stuttgart - Ist es berechtigt, dass Biologiestudenten im ersten Semester tote Tiere zerlegen müssen? Was ist mit Respekt, mit Ethik? Darüber haben auch Studierende der Uni Hohenheim kontroverse Ansichten, wie sich in der Schlussvorlesung des Zoologiekurses gezeigt hat. Johannes Steidle, Professor im Fachgebiet Tierökologie, wollte dieses Feedback, wollte die Reflexion seiner Erstsemester – gerade in einer Zeit, in der Versuche mit Tieren ganz aktuell wieder Schlagzeilen machen und auch eine Universität sich klar positionieren muss.

 

Die rund 120 Teilnehmer, darunter auch 20 Lehramtsstudierende, haben den praktischen Teil ihres Zoologiekurses schon hinter sich, haben im Laufe ihres ersten Semesters Forelle, Regenwurm, Muschel, Seestern, Maus, Küken, Frosch und Schabe präpariert – echte tote Tiere. Allerdings, wie der Zoologieprofessor Martin Blum betont, „werden keine Tiere für den Kurs gezüchtet, und kein Tier stirbt wegen des Kurses“. Der Assistent Philipp Vick berichtet, wo er die Tiere her hat: „Die Forellen kommen aus dem Körschtal, die männlichen Küken sind aus einer Legehennenproduktion.“ 60 davon habe er für den Kurs geholt – von 20 000, die pro Tag schlüpfen. Normalerweise würden die männlichen Küken sofort getötet. Frösche und Mäuse seien alte, ehemalige Hohenheimer Versuchstiere.

Niemand darf Tiere ohne vernünftigen Grund töten

Doch auch die dürfen nicht einfach so getötet werden, wie die Hohenheimer Tierschutzbeauftragte Ramona Böhm den Erstsemestern deutlich macht. 2002 wurde Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz aufgenommen, 2013 kam ein neues Tierschutzgesetz. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“, referiert Böhm.

Da hakt einer der Erstis gleich nach: „Was ist ein vernünftiger Grund?“ Böhm erklärt, Tierversuche zu Fortbildungszwecken seien erlaubt, müssten aber beantragt und genehmigt werden. Eine Tötung zu wissenschaftlichen Zwecken sei meldepflichtig. Es sei immer eine Abwägung zwischen Tierschutz und Forschungsfreiheit. Aus Steidles Sicht führt kein Weg dran vorbei, dass jeder Biostudent Tiere präpariert: „Deutsche Biologen müssen das alles kennen – das ist auch ein Qualitätsmerkmal.“ Das gelte auch für Studierende, die von vornherein nur mit Pflanzen arbeiten wollen.

„Und jetzt“, sagt Steidle, „fahren wir die emotionale Schiene“. Er zeigt ein Youtube-Filmchen der Tierschutzorganisation Peta, in dem sich das Schlagersternchen Vanessa Mai mit einem Skalpell und Kunstblut an ihrer Brust zu schaffen macht – „Ich sterb für dich – stoppt das Sezieren“, heißt ihre Botschaft. Doch diese Inszenierung löst in der Vorlesung vor allem Erheiterung aus. Wirklich emotional wird es erst, als die Studierenden über Pro und Contra des Sezierkurses und über ihre Erfahrungen sprechen – erst in Kleingruppen, dann vor dem Plenum. „Sezieren fanden wir echt cool, auch dass wir das praktisch machen konnten – so was bleibt einfach in Erinnerung“, meint eine Studentin. „Man behält den Aufbau der Organe viel besser“, ergänzt ein Kommilitone.

Durch das Sezieren Respekt vor den Tieren bekommen

Ein anderer sagt, es sei „ganz anders, wenn ich ein Gewebe haptisch durchschneide“ und: „der Kurs hat uns Respekt vor Tieren eingebracht“. Ein anderer widerspricht: Es könne doch nicht Aufgabe der Hochschule sein, Respekt vor Tieren beizubringen, das müsse doch bei jedem Biostudenten vorausgesetzt werden können.

Doch nicht alle Erstis tun sich leicht mit dem Skalpell. „Ich wollt das echt nicht machen“, sagt eine junge Frau – „ich hab das Küken angeguckt, bin raus auf den Gang, war komplett am A . . .“ Bei der abschließenden Befragung via Smartphone stellt sich heraus, dass fast ein Viertel der Teilnehmer Angst vor dem Sezierkurs hatte und ähnlich viele es lieber hätten, wenn er nur für Studierende mit Schwerpunkt Zoologie verpflichtend wäre. 84 Prozent sind jedoch überzeugt, dass sie durch Bücher oder PC nicht denselben Lernerfolg gehabt hätten. „Als Biologe“, meint eine Studentin, „sollte man sich vor toten Tieren nicht ekeln“.