Wer Fachkräfte an sein Unternehmen binden will, muss sich auch mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auseinandersetzen. Ein Drittel der Unternehmen aus der Region will dieses Themenfeld laut einer Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart stärker in den Fokus nehmen.

Stuttgart - Die Hälfte aller Betriebe in der Region Stuttgart betrachtet die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben bereits als Teil ihrer Unternehmenskultur. 31 Prozent der Firmen wollen ihre Mitarbeiter künftig noch stärker darin unterstützen, die Betreuung der Kinder oder die Pflege der Eltern mit den beruflichen Anforderungen zu kombinieren. Das sind zwei zentrale Ergebnisse einer Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart. An der Untersuchung haben im Februar 740 kleine, mittelständische und große Firmen aus dem Großraum Stuttgart teilgenommen.

 

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels wollte die IHK Stuttgart wissen, welchen Stellenwert die Firmen dem Thema beimessen und welche Herausforderungen sie sehen. Dabei unterscheiden sich die Sichtweisen je nach Region und Branche. In Stuttgart, Göppingen und im Rems-Murr-Kreis beispielsweise messen die Unternehmen dem Thema die größte Bedeutung zu. In den Kreisen Böblingen, Esslingen und Ludwigsburg sehen die Betriebe dagegen weniger Handlungsbedarf.

Die Finanz- und Versicherungsbranche ist Vorreiter

Die Unterschiede zwischen Städten und Kreisen seien nicht nur durch Unternehmensgrößen und Branchen zu erklären, sondern auch durch gesellschaftliche Strukturen, so die Studie. In ländlichen Regionen unterstützten beispielsweise mehr Großeltern bei der Kinderbetreuung. Mit Blick auf die Wirtschaftszweige zeigt sich laut IHK-Präsident Georg Fichtner, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben in der Finanz- und Versicherungsbranche, wo mehr Frauen arbeiten, eine höhere Bedeutung hat als in der männerdominierten Bau- und Elektrobranche.

Vor allem für kleine und mittelgroße Unternehmen, so Fichtner, sei es schwierig, die Personalpolitik auf dieses Thema auszurichten. „Häufig sind der Bedarf der Belegschaft und die Ressourcen nicht groß genug, um entsprechende Serviceangebote vorzuhalten“, sagt der IHK-Präsident. Er plädiert deshalb dafür, das staatliche Angebot der Kinderbetreuung stärker an die Anforderungen der Unternehmen anzupassen und die Zahl der Ganztagsschulen auszubauen. Gerade eine Betriebskita einzurichten, lohne sich nur für größere Unternehmen.

Die Bereitschaft zu individuellen Lösungen ist gefordert

Vor allem mit Blick auf die jüngere Generation zeige sich zudem ein gesellschaftlicher Wandel, so Fichtner. Gerade diese Generation lege mehr Wert auf flexible Arbeitszeitmodelle – auch die Männer. Zwar ermöglichen 80 Prozent der 740 befragten Unternehmen Teilzeitmodelle, immerhin 74 Prozent flexible Arbeitszeiten und 69 Prozent individuelle Lösungen; weitergehende Maßnahmen dagegen können viele nicht realisieren. 46 Prozent der befragten Unternehmen ermöglichen es ihren Mitarbeitern aber immerhin, von zu Hause aus zu arbeiten und 41 Prozent bieten eine erweiterte Freistellung bei Krankheit der Kinder an. Für die Pflege von Angehörigen stellen dagegen nur 28 Prozent der Unternehmen ihre Mitarbeiter längerfristig frei.

„Vereinbarkeit heißt nicht ’Wünsch dir was’, und sie stößt auch – wie beim Schichtdienst – an Grenzen“, sagt Sabine von Rechenberg, Personalleiterin bei Lapp Kabel. Das Stuttgarter Unternehmen mit 750 Beschäftigten deutschlandweit lebt das Prinzip dennoch auf vielfältige Weise. Die Termine für Besprechungen werden so gelegt, dass Eltern die Kinder in die Kita bringen können. Während des Kita-Streiks bekommen die Eltern notfalls Sonderurlaub. Für den Schichtdienst hat Lapp Kabel zudem eine Tauschbörse eingerichtet, wo die Mitarbeiter untereinander Schichten tauschen können. Zudem arbeite man vertrauensvoll mit dem Betriebsrat zusammen. Eine Mutter mit kleinen Kindern habe man zum Beispiel freigestellt, nachdem ihr Mann einen schweren Unfall hatte, so von Rechenberg. Das Ergebnis dieser Bemühungen zeige sich zum Beispiel daran, dass die jährliche Fluktuation in der Belegschaft bei nur drei Prozent liege.

Ähnlich positive Erfahrungen verzeichnet die Stuttgarter Fahnenfabrik Dommer mit 50 Beschäftigten. Sylvia Dommer-Kroneberg, die das Unternehmen mit ihrem Mann führt, weiß als Mutter zweier Kinder wie schwer es sein kann, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Sie setzt auf individuelle Lösungen, etwa durch die Möglichkeit zeitweise im Home Office zu arbeiten. Solche Beispiele aus der Praxis will die IHK Stuttgart nun nutzen, um anderen Firmen Wege aufzuzeigen, ihre Fachkräfte ans eigene Unternehmen zu binden.