Die Deutschen haben ein zwiespältiges Verhältnis zu scheiternden Unternehmensgründern. Dies ergibt eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim. Die Angst vor dem Risiko sitzt tief.

Stadtentwicklung & Infrastruktur: Andreas Geldner (age)

Stuttgart - Unternehmensgründungen sind immer ein Risiko. Doch die Deutschen haben trotz aller Bekenntnisse zur Innovation ein zwiespältiges Verhältnis zu unternehmerischem Misserfolg. Sie legen an Firmengründer eine höhere Messlatte an als an Menschen, die an anderen Punkten scheitern. Dies ist das zentrale Fazit einer aktuellen, am Lehrstuhl für Unternehmensgründungen der Universität Hohenheim erstellten Studie. Dafür wurden 2027 repräsentativ ausgewählte Bundesbürger zwischen 18 und 67 Jahren in ganz Deutschland befragt.

 

Zwar stimmen 80 Prozent der Befragten prinzipiell zu, dass Misserfolge zum Leben gehören und Scheitern häufig eine wichtige Lernerfahrung ist. Aber wenn die Deutschen konkret nach unternehmerischem Scheitern gefragt werden, hält dies nur noch eine äußerst knappe Mehrheit von 50,3 Prozent für eine Erfahrung, bei der man zumindest überwiegend auch positive Aspekte erkennen kann. „In Deutschland blickt man besonders auf die unternehmerische Verantwortung“, sagt der Hohenheimer Gründerprofessor Andreas Kuckertz, der die Studie verfasst hat: „Wenn der Kollege nebenan im Büro einen Fehler macht, sieht man das weniger dramatisch, als wenn bei einem Gründer die Arbeitsplätze von 50 Betroffenen dranhängen.“ Zwar äußern sich viele verständnisvoll, wenn Unternehmer wegen der allgemeinen Wirtschaftslage erfolglos bleiben. Deutlich strenger ist das Urteil aber, wenn ein unerprobtes Geschäftskonzept scheitert. Und wenn es darum geht, von einem bereits einmal gescheiterten Unternehmer selbst Waren zu bestellen, stößt das von 78 Prozent grundsätzlich bekundete Bekenntnis, dass jeder eine zweite Chance verdient habe, an Grenzen. 40,1 Prozent würden lieber nichts oder nur mit Vorbehalten bestellen.

Zahl der Gründungen rückläufig

Nur 21,7 Prozent sahen eine Geschäftsbeziehung tendenziell oder ganz entspannt, während eine breite Mitte von 38,2 Prozent mit „teils-teils“ antwortete. Die Verfasser der Studie haben dies auf den Satz zugespitzt: „Die zweite Chance sollen lieber andere einräumen.“

Bei den Gründern, die sich durch ein solches Umfeld womöglich vom Sprung ins kalte Wasser abschrecken ließen, brauche man nicht gleich an die viel beschworenen Start-ups im Stil des amerikanischen Silicon Valley denken: „Auch wer ein Restaurant aufmacht, der kann ein wertvoller Gründer sein“, sagt Kuckertz angesichts von Statistiken, die davon sprechen, dass die Zahl von Gründungen in Deutschland insgesamt rückläufig ist.

Unternehmen in der mehr an Projekten der Digitalwirtschaft arbeitenden Start-up-Szene hätten prinzipiell ein offeneres Verhältnis zum Thema Scheitern als gewöhnliche Gründer. Diese ließen sich durch die Risikoaversion ihres Umfeldes leichter von einem Start als Unternehmer abschrecken. Der Unterschied zwischen Start-up-Biotop und gesellschaftlicher Stimmung lässt sich am Beispiel Berlin besonders gut belegen.

Größere Toleranz in wirtschaftlich gebeutelten Regionen

Obwohl Berlin als das moderne deutsche Start-up-Mekka schlechthin gilt, schnitt die Stadt bei der Toleranz gegenüber unternehmerischem Scheitern ziemlich schlecht ab und landete unter sechzehn Bundesländern auf dem viertletzten Platz. „Wir haben eben die generelle Berliner Bevölkerung befragt und nicht nur die Start-up-Szene“, sagt Kuckertz. Im Gegensatz dazu gibt es bei den beiden Spitzenreitern Bremen und Sachsen-Anhalt eine größere Toleranz. In den wirtschaftlich gebeutelten Regionen mag der eine oder andere in seinem Umfeld schon einmal einen gescheiterten Gründer erlebt haben – was das Verständnis prinzipiell fördert.

Die in der deutschen Gesellschaft tief sitzende Angst vor dem Risiko sei das größte Problem, vor dem die Gründerkultur stehe, sagt Kuckertz. „Wir bräuchten mehr erfolgreiche Unternehmer, die sich hinstellen, und auch einmal erzählen, wie steinig ihr Weg zum Erfolg war“, sagt er auf die Frage, wie man solche Einstellungen verändern könnte. In der jüngeren Generation deute sich ein Kulturwandel an: 55 Prozent der Befragten zwischen 18 und 29 Jahren hatten eine prinzipiell positive Einstellung zu unternehmerischen Fehlern. Jenseits der 60 waren es nur 45 Prozent.