Nach einer neuen Studie erreichen deutlich weniger Teilnehmer von Integrationskursen das Klassenziel als erwartet. Die Verfasser der Studie leiten daraus mehrere Forderungen ab - beißen damit aber beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Granit.

Mannheim/Nürnberg - Zu viele Zugewanderte scheitern nach Ansicht von Experten in Integrationskursen. „Nur ein Bruchteil der Absolventen schließt die Kurse ab“, sagt der Chef des Leibniz-Instituts für deutsche Sprache (IDS), Henning Lobin. Das liege vor allem daran, dass die Kurse zu anspruchsvoll seien. „Die Zielgenauigkeit lässt zu wünschen übrig.“

 

Die Kurse sollen die Teilnehmer befähigen, in der Arbeitswelt zurechtzukommen. Dafür ist auf einer sechsstufigen Skala von A1 (einfache Sprachkenntnisse) bis C2 (Voraussetzung für ein Studium) das Zielniveau B1 festgesetzt. Die Latte hängt aus Lobins Sicht unrealistisch hoch.

Lernziele werden nicht gesenkt

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sieht aber keinen Anlass, das Lernziel im allgemeinen Integrationskurs abzusenken. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) mahnt stärker berufsbezogene sprachliche Förderung von Zuwanderern an: Die Sprachkenntnisse Geflüchteter nach einem Integrationskurs reichten oft nicht aus, um in die Ausbildung einzusteigen.

Im Jahr 2018 zählte das Bamf rund 203.000 neue Teilnehmer an Integrationskursen. Deutschland gehört nach Angaben des Chefs des Mannheimer Goethe-Instituts, Ingo Schöningh, neben Dänemark und Großbritannien zu den wenigen Ländern Europas, die von Kursteilnehmern das B1-Niveau erwarten. Üblicher sei das Niveau A2. Den heutigen Anforderungen liege noch die deutlich einfachere Integration von Spätaussiedlern zugrunde, moniert Schöningh. „Deshalb muss ein neues, realistischeres Konzept her, das Absolventen und Lehrern die Frusterfahrung des Scheiterns erspart.“

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Die Forderung von Schöningh und IDS-Leiter Lobin basiert auf Erkenntnissen aus einer gemeinsamen Studie ihrer Institute. Diese ermittelten bei rund 600 Teilnehmern von 38 Kursen des Jahres 2016 in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen sowie Sachsen den biografischen, sprachlichen und beruflichen Hintergrund wie auch den Bildungshintergrund.

In einem zweiten Schritt sollten bei einem Test 2017 etwa 500 Absolventen gegen Ende des Integrationskurses in einem Bewerbungsgespräch bestehen. Von den Antworten auf vier Fragen wurden Sprachaufnahmen gefertigt, die sieben unabhängige Juroren bewerteten. Die Teilnehmer, die von Anfang an dabei waren, erreichten nur zu 5,5 Prozent das erwünschte Niveau B1, während etwa ein Drittel bei A2 landete - und 62 Prozent nochmals darunter. Das heißt, die meisten dieser Sprachschüler verfügten nach 500 bis 600 Unterrichtseinheiten nur über elementare Deutschkenntnisse. Die im Laufe des Kurses hinzugekommenen Schüler schnitten etwas besser ab.

Differenzierte Kurse gefördert

IDS-Chef Lobin sagt: „Das ist ein brisantes Ergebnis, zumal im Laufe des Kurses über die Hälfte der ursprünglichen Teilnehmer ausgeschieden ist.“ Darunter sei die Gruppe der - vorwiegend männlichen - bildungsfernen Teilnehmer mit einfacher Berufserfahrung und Fluchthintergrund besonders stark vertreten, ebenso wie die der - mehrheitlich weiblichen - jungen Teilnehmer ohne Fluchterfahrung mit abgeschlossener Schul- oder Studienlaufbahn.

Goethe-Institutsleiter Schöningh resümiert: „Es sind die Über- und die Unterforderten, die abspringen.“ Deshalb liege es nahe, drei differenzierte Kurse nach den Merkmalen Bildungshintergrund, Alter und Beherrschen mehrerer Sprachen anzubieten.

Unterschiedliche Ergebnisse

Die Mannheimer Studie zeigt auch, zum Verblüffen ihrer Organisatoren, gravierend schlechtere Erfolgsquoten als sie das Bamf ermittelt hat: Dem Bundesamt zufolge schlossen 2018 im allgemeinen Integrationskurs rund 62 Prozent der Erst-Teilnehmer mit Sprachniveau B1 ab. Weitere 30 Prozent erreichten das darunterliegende Sprachziel A2. Es sei aber richtig, so die Nürnberger Behörde, dass die B1-Quote im Gesamtschnitt aller Kursarten gesunken sei. Grund: ein stark gestiegener Anteil an Analphabeten.

Die Wissenschaftler der beiden Institute führen den himmelweiten Unterschied zwischen ihren Zahlen und denen des Bamfs auf den Zeitpunkt der Erhebung zurück: Während ihr Test vor der Prüfung ansetzt, werte die Behörde die Ergebnisse der Prüfungen aus, zu denen sich nicht alle Kursteilnehmer anmeldeten. Weiterer Unterschied: Die Prüfungsteilnehmer würden gezielt auf den Test vorbereitet.

Wenig Aussagekraft laut Bamf

Das Bundesamt kann den Studienergebnissen wenig abgewinnen: Vor allem die Art der Erhebung der mündlichen Sprachkompetenz entspreche nicht den üblichen Standards. Die Auswahl der Kurse sei nicht repräsentativ, die den Absolventen vorgegebene Thematik zudem sehr begrenzt gewesen. Auch die für Sprachtests benötigte authentische Gesprächssituation habe gefehlt. Das Bamf findet die Studie daher wenig aussagekräftig - sie biete nur „erste Ansatzpunkte“.

Wie auch immer die Zahlen interpretiert werden, die Arbeitgeber der Sprachschüler bemängeln laut einer DIHK-Bilanz unzureichende Deutschkenntnisse. Sie sagen, notwendig sei ein verstärktes und flexibleres Angebot - etwa durch E-Learning - an berufsbezogenen Sprachkursen vor und während der Ausbildung.