Über die Ursachen für den Rückgang von Schmetterlingen, Käfern und Fliegen streiten sich Naturschützer, Bauern und Politiker – nicht immer auf sachlichem Niveau.

Stuttgart - Ein Team um den niederländischen Tierökologen Caspar Hallmann hat vor wenigen Tagen in der Online-Zeitschrift Plos one eine neue Studie vorgestellt: Danach ging die Biomasse an Insekten in den vergangenen 27 Jahren um 75 Prozent zurück. Verstörend ist vor allem, dass die Zählungen ausschließlich in Naturschutzgebieten gemacht worden waren. Sieht es auf landwirtschaftlichen Flächen also noch schlechter aus? Das weiß niemand. Untersucht wurden 63 Schutzgebiete vor allem in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg.

 

Gelten die Ergebnisse auch für den Südwesten?

Die Studie macht keine Aussagen für Baden-Württemberg. Allerdings sehen Insektenforscher auch bei uns eine ähnliche Entwicklung. So zählt Wulf Gatter seit 40 Jahren am Randecker Maar Wanderfalter – früher seien im Herbst 1000 Kohlweißlinge an einem Tag vorbei gekommen, heute seien es höchstens noch 20, sagte er. Auch der bundesweite Artenschutz-Report des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) von 2015 sieht bei der Hälfte aller Ameisen, Bienen, Heuschrecken und Schmetterlinge eine Abnahme, bei weiteren 30 Prozent ist die Entwicklung unbekannt.

Was sind die Ursachen?

Die Naturschützer sehen die Insektizide, die in der Landwirtschaft verwendet werden, als wichtigsten Grund. Das Insektensterben „hat sich seit der Jahrtausendwende mit dem beginnenden Einsatz neuartiger, hochtoxischer Insektengifte in der Landwirtschaft rasant verstärkt“, sagt Johannes Enssle, der Chef des Nabu Baden-Württemberg. Gemeint sind die Neonicotinoide. Laut Claus-Peter Hutter von der Umweltakademie seien diese Stoffe bis zu 7300 Mal giftiger als DDT; problematisch sei, dass der Stoff in alle Pflanzenteile ströme und so auch Pollen und Nektar vergifte. Aber auch die allgemeine Intensivierung der Landwirtschaft mit dem Verschwinden von Feldrainen und Hecken trage dazu bei. Auf den intensiv genutzten Wiesen sei ein Problem, dass das Gras häufig gemäht werde und oft sofort in Kunststoffballen verpackt werde – die Insekten sterben darin. Aber vermutlich gibt es viele weitere Gründe für das Insektensterben. Auch der Verlust von Lebensraum durch Baugebiete dürfte eine Rolle spielen, ebenso die Lichtverschmutzung, die vielen nachtaktiven Insekten das Leben kostet. Wirklich untersucht sind die Ursachen noch nicht.

Welche Reaktionen gibt es?

Genau hier hakt Agrarminister Peter Hauk (CDU) ein: „Wir wissen viel zu wenig über die Ursachen, um schnelle Schuldzuweisungen machen zu können“, sagte er. Seiner Meinung nach schädigten die Neonicotinoide Insekten nur bei unsachgemäßer Anwendung. Auch gebe es sich widersprechende Befunde: So würden manche Fledermausarten zunehmen, obwohl sie sich von Insekten ernährten. Wütend ist die Reaktion des Bauernbundes Brandenburg: „Nabu erfindet Insektensterben und schuld ist die Landwirtschaft“, so lautet der Titel einer neuen Pressemitteilung. Insektizide würden lediglich bei Raps und Kartoffeln angewandt, die nur fünf Prozent der Fläche in Deutschland ausmachten. Schon im Sommer hatte Bernhard Krüsken, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, deshalb „großen und dringenden Forschungsbedarf“ angemahnt. Die Bauern fühlen sich mittlerweile zu Unrecht als Buhmann für alles, was schief läuft in der Umwelt. Der Staatssekretär im Umweltministerium, Andre Baumann, postete dagegen bei Facebook: „Warum erinnern mich aber solche Meldungen an die Medienkampagnen großer Tabakkonzerne, die es vor zwanzig Jahren noch gab?“ Damals hätten die Firmen auch behauptet, es sei nicht erwiesen, dass Rauchen gesundheitsschädlich sei, und Studien angemahnt.

Was kann man tun?

Der BUND fordert wie viele andere Organisationen ein sofortiges „Totalverbot“ aller Neonicotinoide. Jahrelange Forschungen könne man sich nicht leisten, sagt etwa Friedhelm Göltenboth von NatureLife: „Bei einem Schwerverletzten am Straßenrand kann man auch nicht erst erforschen, welche seiner Verletzungen lebensgefährlicher ist.“ Das Umwelt- und das Agrarministerium in Baden-Württemberg werden in wenigen Wochen ein Programm für biologische Vielfalt vorstellen. Dazu gehört ein umfassendes Monitoring zu Insekten, aber auch Maßnahmen zu einer abwechslungsreichen Gestaltung landwirtschaftlicher Flächen. Grundlegend sind die Forderungen vieler Naturschutzverbände nach einer neuen Agrarpolitik. 60 Milliarden Euro verteilt die EU jährlich an die Landwirtschaft verteilt; die Kriterien dafür müssten deutlich ökologischer ausgerichtet werden.

Gibt es auch Erfolge?

Laut dem jüngsten Artenschutz-Report des BfN wuchs bei 1,7 Prozent der Insektenarten die Population, bei weiteren 16 Prozent blieb der Bestand seit 1998 stabil. Erfolge kann der Naturschutz vor allem bei Wirbeltieren verbuchen: Wildkatze, Fischotter, Biber, Fischadler, Schwarzstorch oder Äskulapnatter fühlen sich in Deutschland wieder deutlich wohler. Im Folgenden stellen wir drei Initiativen vor, die gegen das Insektensterben in Baden-Württemberg kämpfen.

Drei Projekte gegen das Artensterben

„Bunte Wiesen“ in Tübingen

Oliver Betz ist von Beruf Entomologe, also Insektenforscher – er untersucht als Professor an der Universität Tübingen die Evolutionsbiologie wirbelloser Tiere. Aber das war es gar nicht, was ihn zu der Initiative „Bunte Wiesen“ gebracht hat. Vielmehr musste er auf dem Campus immer wieder zusehen, wie die Wiesen bis

Oliver Betz in Tübingen Foto: privat
zu acht Mal im Jahr gemäht wurden – ein schrecklicher „ästhetischer Minimalkonsens“, wie Betz fand. Heute helfen ihm immer 15 bis 20 Studierende, 40 Wiesen mit zusammen 14 Hektar Fläche im Tübinger Stadtgebiet zu pflegen. Dort wird selten gemäht. Studierende konnten in Abschlussarbeiten, bei denen intensiv und extensiv genutzte Wiesen verglichen wurden, nachweisen, dass sich die Zahl der Pflanzen- und Tierarten schon im ersten Jahr deutlich erhöht hat. Bei Käfern etwa lag die Zahl der Arten auf den wenig gemähten Wiesen um 50 bis 80 Prozent höher. Oliver Betz ist froh, dass die Stadt Tübingen und das Land – ihnen gehören die Wiesen – offen sind für das Projekt; Tübingen will gar längerfristig ein Gesamtkonzept entwickeln. Noch werden aber nur knapp sechs Prozent der öffentlichen Flächen so zurückhaltend bewirtschaftet: „Andere Kommunen sind da schon deutlich weiter“, sagt Oliver Betz.

Moor-Renaturierung bei Isny

Vor wenigen Tagen erst haben alle Beteiligten mit einer Exkursion ins Moor den Abschluss des aufwendigen Projektes Bodenmöser gefeiert: Vertreter von Nabu, ForstBW, den Kommunen Isny und Argenbühl sowie Daimler, der mit der Spende von knapp einer Million Euro alles erst ermöglicht hat, wanderten durch die fünf renaturierten Moorgebiete. Rund 50 Hektar sind mit großem Aufwand

Tom Kutter in Isny Foto: Faltin
wiedervernässt worden: 620 kleine und 168 größere Torfdämme wurden eingezogen, alte Entwässerungsgräben wurden verschlossen, Waldarbeiter haben 10 000 Festmeter Fichtenholz entfernt. Jetzt soll auf den offenen Flächen wieder Bruchwald wachsen können, mit Erlen und Moorbirken. Verantwortet hat dies alles Tom Kutter, der als Nabu-Experte für Moore schon viele solche Projekte geleitet hat. Auch für Insekten sind die Moore ein wichtiger Rückzugsort. Der pensionierte Lehrer Rudolf Schick war in den vergangenen Jahren zuständig für die Zählung der Schmetterlinge: 700 Arten hat er in den Bodenmöser entdeckt, tatsächlich vermutet er dort bis zu 1500 Arten. Der Schwund der Insekten ist für Schick eine Tatsache: „Wenn wir die Ursachen nicht schnell bekämpfen, übertrifft dies alles, was es bisher an Umweltkatastrophen gab“, sagt er.

Das Umweltbildungszentrum Listhof in Reutlingen

Das Umweltbildungszentrum Listhof bei Reutlingen setzt sich gleich doppelt für die Insekten ein, wie Markus Schwegler vom Leitungsteam erzählt. Die fünf Hauptamtlichen und etwa 15 Ehrenamtlichen des Vereins haben vor drei Jahren das Krabbeltierhaus eingeweiht: Dort können Kinder und Jugendliche zuschauen,

Das Krabbeltier-Haus Foto: privat
wie Raupen sich verpuppen und zu Schmetterlingen werden oder sie können mit Lupen Insekten selbst bestimmen – und dabei auch ein wenig Angst vor so manchem Krabbeltier verlieren. Bis Ende Oktober noch ist das Haus an den Wochenenden am Nachmittag zum freien Rundgang geöffnet. Daneben kümmert sich der Listhof um ein 124 Hektar großes Naturschutzgebiet gleich nebenan. Früher gehörte die Fläche dem französischen Militär, jetzt gehört es allein den vielen seltenen Tieren und Pflanzen. So legen die Naturschützer regelmäßig Tümpel an, um Lebensräume für Libellen und Gelbbauchunken zu schaffen. Markus Schwegler kann die Studie über das Insektensterben aus eigener Erfahrung nur bestätigen, auch er erlebt einen deutlichen Rückgang der Arten in „seinem“ Gebiet. Die Konsequenz für ihn ist eindeutig: „Es reicht eben nicht aus, nur ein paar Inseln als Naturschutzgebiete zu schützen.“

Auch im eigenen Garten kann jeder den Insekten Gutes tun

Jeder einzelne kann etwas für die Insekten tun

Wer einen Garten besitzt, hat eine Fülle von Möglichkeiten, um Refugien für Insekten zu schaffen. Man kann wilde Ecken mit Brennnesseln stehen lassen. Die Pflanzen in den Beeten sollte man im Herbst nicht abräumen, denn dort überwintern viele Insekten. Einheimische Blütenmischungen geben Nahrung. Wer es mit seinem Ordnungssinn vereinbaren kann, sollte einen Teil des Rasens nur ein oder zwei Mal im Jahr mähen – oder den ganzen Rasen immer acht Zentimeter lang lassen. Wer keinen Garten hat, kann ein Insektenhotel auf dem Balkon anbringen.

Noch steht nicht fest, dass vor allem die Insektizide verantwortlich sind für das Insektensterben. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kann aber Bioprodukte kaufen – denn diese werden ohne jeglichen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln angebaut.

Wer mehr machen möchte, kann zum Beispiel eine Streuobstwiese erwerben, diese höchstens ein bis zwei Mal pro Jahr mähen und das Gras abtransportieren. So können die Pflanzen Blüten und Samen bilden, und die Wiese bleibt mager. Die Arbeit auf dem Stückle spart dem Besitzer zudem das Geld fürs Fitnessstudio.