Laut einer Studie der Hilfsorganisation Oxfam besitzen 62 Superreiche genauso viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Dafür gibt es aus Sicht der Forscher eindeutige Gründe – die durchaus geändert werden könnten.

Stuttgart - Die Weltwirtschaft ist in rasantem Tempo gewachsen, allen voran China und Indien sind Wachstumsmotoren. Aber selbst in Afrika geht es bergauf. Global gesehen hat sich die Zahl der Menschen in extremer Armut binnen 20 Jahren halbiert. Mit diesen Aussagen enden aber schon die erfreulichen Nachrichten, die in der Studie „An Economy for the one Percent“ (eine Wirtschaft für das eine Prozent) enthalten sind, denn das zum Davoser Weltwirtschaftsforum vorgestellte Werk der Hilfsorganisation Oxfam zeichnet ein Bild der wachsenden sozialen Ungleichheit: Die Gewinner in der Welt seien wenige an der Spitze, die soziale Ungleichheit habe katastrophal zugenommen und das gefährde den sozialen Zusammenhalt.

 

Anschaulich wird das bei der Besitzverteilung: das Vermögen der 62 reichsten Personen der Welt sei in den letzten fünf Jahren um gut 40 Prozent gewachsen und entspreche exakt dem, was 50 Prozent am ärmeren Ende der Menschheit besäßen – also 3,6 Milliarden Einwohner. Deren Vermögen sei im gleichen Zeitraum um gut 40 Prozent gesunken. „Es ist schlicht inakzeptabel, dass die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nicht mehr besitzt als ein paar Dutzend superreicher Menschen, die in einen Bus passen“, sagt Winnie Byanyima, die Oxfam-Direktorin.

Vor fünf Jahren waren es noch 338 Multimilliardäre, die so viel besaßen, wie die 50 Prozent der Menschheit am ärmeren Ende. Dem Profitanstieg auf der einen Seite entspricht die magere Rendite auf der anderen. Das Durchschnittseinkommen der ärmsten zehn Prozent ist in 25 Jahren um drei Dollar im Jahr gestiegen – ein Almosen.

Reiche Afrikaner schaffen ihr Vermögen in Steueroasen

Eine jahrzehntelange Politik der Privatisierung und Deregulierung, die Machtfülle und Vernetzung von wirtschaftlichen und politischen Eliten, aber auch die Existenz von Steueroasen macht Oxfam für die wachsende Kluft verantwortlich. Fast 30 Prozent des Vermögens der reichen Afrikaner – 500 Milliarden Dollar – sei außerhalb des Kontinents in Steueroasen versteckt.

Das koste die afrikanischen Länder jährlich Steuerverluste, mit denen sie Lehrer für alle Kinder einstellen könnten. 200 Konzerne hat Oxfam analysiert, darunter die 100 größten der Welt, und herausgefunden, dass neun von zehn eine Filiale in Steuerparadiesen wie den Bahamas oder auf den Cayman-Inseln haben. Das globale System der Steuerflucht sauge reiche und arme Staaten gleichermaßen aus. 7,6 Billionen Dollar privaten Vermögens seien in Steueroasen geparkt, das seien zwölf Prozent des globalen Gesamtvermögens.

Der Anteil der Einkünfte aus Kapitalvermögen ist in den letzten 30 Jahren gewachsen, der aus Arbeit ist gesunken. Selbst in der EU ist die Zahl der Erwerbstätigen mit Armutsrisiko im letzten Jahrzehnt angestiegen auf derzeit neun Prozent. Außerhalb Europas sieht es noch finsterer aus. So wird eine Studie von 2009 aus Marokko zitiert, wo Erdbeerpflückerinnen mit Dumpinglöhnen abgespeist werden und Menschenrechtsverletzungen sowie der Belästigung durch ihre Arbeitsvermittler ausgesetzt sind.

Eine Untersuchung vom Juli 2015 schildert die Zustände in Myanmar, wo Textilarbeiter beklagen, dass ihr Lohn trotz Überstunden nicht reiche, um Miete, Essen und Medikamente zu bezahlen. Auf Druck ausländischer Regierungen und um ihr Image fürchtender Firmen hat die Junta in Myanmar jedoch ihren Widerstand gegen Mindestlöhne aufgegeben.

Reallöhne der Textilarbeiter sind gesunken

Dennoch bleibt die Textilbranche das globale Sorgenkind. Von 2001 bis 2011 sind die Reallöhne für Textilarbeiter in 15 Exportländern gesunken. Im April 2013 sind beim Einsturz einer Nähfabrik in Dhaka in Bangladesch 1134 Menschen ums Leben gekommen. Aber trotz des weltweiten Aufschreis nach der Tragödie habe sich nicht viel geändert, sagt Oxfam: „Das kurzfristige Profitinteresse der Einkäufer beherrscht noch den Markt. Berichte über unzureichende Sicherheit und Brandschutz gibt es immer noch.“ Auffällig sind die immensen Unterschiede zwischen dem Einkommen einfacher Arbeiter und dem der Führungskräfte: Der Vorstandsvorsitzende einer IT-Firma in Indien verdient das 416-Fache eines einfachen Mitarbeiters.

Die Macht großer Konzerne wie Google (Internet) oder Monsanto (Saatgut) wird bei Oxfam nur gestreift. Anfällig für eine Bereicherung der Eliten sei aber der Rohstoffsektor. Die Privatisierung der Öl- und Gasgeschäfte in Russland am Ende des Kommunismus habe nur wenige reich gemacht. In Nigeria, wo 90 Prozent der Staatseinnahmen aus der Ölförderung stammen, sei mit dem schwarzen Gold „eine Handvoll von Privatpersonen zu Milliardären“ geworden, sagt Oxfam. Aber jeder zweite Nigerianer habe nichts vom Ölprofit und lebe in extremer Armut mit weniger als zwei Dollar am Tag.

Steueroasen austrocknen, fordert Oxfam

Als Fazit seiner Studie fordert Oxfam eine Austrocknung der Steueroasen, eine Erhöhung von Mindesteinkommen sowie eine Stärkung des staatlichen Sektors. Der müsse für Gesundheitssysteme und Schulbildung sorgen, um die Ärmeren zu entlasten. „Wir leben in einer Welt, deren Regeln für die Superreichen gemacht sind“, sagt der Oxfam-Mitarbeiter Tobias Hauschild. „Nötig ist ein Wirtschafts- und Finanzsystem, von dem alle profitieren.“