Wissenschaftler warnen vor einer Verquallung der Ozeane. Die Nesseltiere könnten künftig sogar den Arktischen Ozean dominieren, wie eine Studie des Alfred-Wegener-Instituts zeigt.

Wochenend-Magazin: Markus Brauer (mb)

Im Gegensatz zu vielen anderen Meeresbewohnern gehören Quallen zu den Gewinnern des Klimawandels. Wegen der steigenden Wassertemperaturen der Weltmeere könnten sie künftig immer weiter in den Arktischen Ozean vordringen, wie eine Studie des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zeigt.

 

Quallen dehnen ihren Lebensraum weiter aus

Forscher setzten in einem Computermodell acht arktische Quallenarten steigenden Wassertemperaturen aus, wie sie durch den Klimawandel zu erwarten seien. Das Ergebnis: Bis auf eine Ausnahme könnten alle untersuchten Spezies ihren Lebensraum ausgehend vom Zeitraum 1950 bis 2014 bis zum Zeitraum 2050 bis 2099 deutlich Richtung Arktis ausdehnen. Die Studie wurde im Fachmagazin „Limnology and Oceanography“ veröffentlicht.

Besonders stark breitet sich den Ergebnissen zufolge die als Feuerqualle bekannte Gelbe Haarqualle, die in der Ostsee vorkommt, Richtung Norden aus. „Sie kann ihren Lebensraum sogar fast verdreifachen“, sagt AWI-Meeresbiologin Charlotte Havermans. Lediglich eine untersuchte Art (Sminthea arctica) verzeichne einen Rückgang um 15 Prozent, da sie sich bei hohen Temperaturen in kältere Tiefen zurückzieht.

Eine Feuerqualle schwimmt in der Ostsee Foto: dpa/Thomas Müller
Ein Schwarm Ohrenquallen treibt in der Lübecker Bucht. Foto: dpa/Thomas Müller
Eine Spiegeleiqualle (Cotylorhiza tuberculata) schwimmt im Meer in Spanien im knietiefen Wasser neben Badenden. Foto: dpa/Thomas Müller
Hydrozoan Aglantha digitale: Die Art kommt in allen nördlichen Meeren und auch in der Nord- und westlichen Ostsee vor. Foto: Alfred-Wegener-Institut Hemholtz/Mario Hoppmann
Hydrozoan Sminthea arctica Foto: Alfred-Wegener-Institut Hemholtz/Mario Hoppmann
Ctenophore Beroe sp. Foto: Alfred-Wegener-Institut Hemholtz/Joan J. Soto-Angel

Nesseltiere gehören zu den Gewinnern des Klimawandels

Quallen profitieren den Angaben zufolge auch von Nährstoffeinträgen und Überfischung. Übe der Klimawandel Stress auf Meeresbewohner aus, könnten sich Nesseltiere, zu denen Quallen zählen, oft gegen Nahrungskonkurrenten wie Fische durchsetzen, erklärt Erstautor Dmitrii Pantiukhin. In Spitzbergen habe die Kronenqualle bereits einen ganzen Fjord übernommen, betont Havermans.

„Viele Quallen ernähren sich von Fischlarven und Eiern und verzögern oder verhindern so eine Erholung von unter Druck geratenen Fischpopulationen, die zudem meist auch noch durch den Menschen stark bewirtschaftet werden“, erläutert Pantiukhin.

Verquallung der Ozeane

Die Wissenschaft spreche bereits von einer drohenden globalen „Verquallung“ der Ozeane. Das zeige sich auch daran, dass in den letzten 15 Jahren Menschen am Mittelmeer häufiger von Quallenstichen betroffen seien, so Havermans.

Unklar sei noch, wie sich der Vormarsch der Nesseltiere Richtung Norden auf die arktischen Fischbestände auswirke. „Vieles spricht dafür, dass wichtige arktische Fischspezies wie der Polardorsch, dessen Larven und Eier häufig von Quallen gefressen werden, noch stärker unter Druck geraten“, sagt Havermans.

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Australische Würfelqualle oder Seewespe (Chironex fleckeri) Foto: Imago/Pond5 Images

Seewespe
Die Tentakel der Seewespe (Chironex fleckeri) sind mit Tausenden von Nesselzellen besetzt, die bei der kleinsten Berührung explodieren und tief in die Haut eindringen. Dabei wird ein sehr starkes Gift freigesetzt, welches das Nervensystem angreift und binnen Minuten zu Muskel- und Atemlähmung sowie zum Herzstillstand führt. „Ein Stich dieser Quallenart kann dich in weniger als fünf Minuten umbringen, und wir schätzen, dass ein einziges Tier über genug Gift verfügt, um Hunderte Menschen zu töten“, sagt der Molekularbiologe Greg Neely, der an der Universität von Sydney die Toxine von Nesseltieren erforscht. „Das Gift der Seewespe sticht quasi Löcher in die Haut und führt dann zum Zelltod. Dies erzeugt heftige Schmerzen und führt später zu solcher Narbenbildung.“ Innerhalb von wenigen Minuten kann das Gift zu Herz-Kreislauf-Versagen führen.

 

Irukandji Foto: Picture alliance/dpa

Irukandji
Die fast durchsichtigen Würfelquallen Irukandji (Carukia barnesi) haben nur einen Durchmesser von nur ein bis zwei Zentimetern, aber vier bis zu einem Meter lange Tentakel. Zum Vergleich: Die wesentlich größere Seewespe verfügt über 15 Tentakel an jeder Ecke ihrer bläulichen Schwimmglocke, die jeweils bis zu drei Meter Länge erreichen. Anders als beim Box Jellyfish treten die Symptome meist mit etwa 30 Minuten Verzögerung auf.

 

Seewespe Foto: Imago/UIG

Irukandji-Syndrom
Die Nesselgifte der Quallen können dann das sogenannte Irukandji-Syndrom auslösen – eine Vergiftung, die schwere Bauch-, Brust- und Rückenschmerzen sowie Lungenödeme verursachen kann. Ohne medizinische Betreuung droht Lebensgefahr. „Die Irukandji-Qualle stellt wahrscheinlich die größere Bedrohung für die menschliche Sicherheit dar, da sie so klein ist, dass man sie nicht sehen kann, und sie oft an weniger abgelegenen Orten zu finden ist als die Würfelqualle“, erkärt Geg Neely.

 

Portugiesische Gallere Foto: Imago/UIG

Portugiesische Galeere
Auch Portugiesische Galeeren, die nicht nur im Pazifik, sondern auch vor den Kanaren und rund um Portugal vorkommen, zählen zu den hochgiftigen Quallen. Sogar vor Mallorca wurden sie schon gesichtet. Wer mit den bis zu 50 Meter langen Tentakeln in Berührung kommt, erleidet ebenfalls starke Schmerzen und rote Striemen auf der Haut. Für den Menschen verläuft eine Begegnung mit dem Nesseltier – außer im Falle eines allergischen Schocks, aber nur selten tödlich.