Was bringt die Hardware-Nachrüstung alter Diesel, die die Autokonzerne und die Kanzlerin ablehnen? Das lässt der Bund nun von Experten untersuchen – darunter einem Karlsruher Professor, der eine sehr eigene Sicht auf den Dieselskandal hat.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Zum Dieselskandal hat Thomas Koch seine ganz eigene, pointierte Ansicht. Der eigentliche Skandal ist für den Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nicht der Schadstoff-Ausstoß. Bei den modernen Motoren habe man die Probleme mit Feinstaub und Stickoxiden längst im Griff. Über die Manipulationen bei VW und anderen Herstellern ist natürlich auch Koch empört. Wirklich skandalös aber findet er, wie die „hoch entwickelte Technologie“ im Zuge der Abgasaffäre schlecht geredet werde. In Interviews und Zeitungsbeiträgen geißelt er eine unverantwortliche „Panikmache“, die „Skandalisierung“ besonders durch die öffentlich-rechtlichen Sender und den fehlenden Sachverstand, der oft mit der Aufregung einhergehe. Leider hätten die Deutschen „eine Freude daran, uns zu zerfleischen“, schrieb er einmal. Doch damit besorge man nur das Geschäft der Konkurrenz aus den USA oder Japan, die die deutschen Autobauer just in ihrer „Paradedisziplin“ ausbremsen wollten.

 

Die Emotionalität des Professors mag mit seiner beruflichen Vita zu tun haben: Er ist ein Automann durch und durch. Nach Maschinenbau-Studium und Promotion arbeitete er rund zehn Jahre lang im Bereich Nutzfahrzeuge für Daimler, zuletzt verantwortlich für „Verbrennung, Aufladung und Kraftstoffe“. Im Jahr 2012 wurde er ans KIT berufen, als Leiter des „Instituts für Kolbenmaschinen“. Dort kümmerte er sich besonders um die weitere Optimierung des Verbrennungsmotors, zusammen mit 25 wissenschaftlichen Mitarbeitern und gerne mit Kooperationspartnern aus der Industrie. Mögen die Rufe nach einem Aus für den „Verbrenner“ immer lauter werden – Koch hält öffentlichkeitswirksam dagegen: Selbst dem Diesel prophezeite er einmal eine „glänzende Zukunft“.

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Kanzlerin auf Linie der Autokonzerne

Angesichts solcher Töne ließ es viele Beobachter aufhorchen, dass der Professor in der Dieselthematik nun als Gutachter für die Bundesregierung tätig wird. Es geht um eine Untersuchung, die beim dritten Diesel-Gipfel Ende November in Berlin angekündigt worden war. Ihr Gegenstand laut dem Bundesverkehrsministerium: die „Möglichkeit der Hardware-Nachrüstung“ von Diesel-Personenwagen und leichten Nutzfahrzeugen. Die Technik dafür gibt es längst, mit dem Einspritzen von Harnstoff werden Stickoxide im Abgas unschädlich gemacht. Ob ihr Einbau in Altautos funktioniert und sich lohnt, ist umstritten. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) etwa fordert die flächendeckende Nachrüstung, um Fahrverbote zu vermeiden. Die Autokonzerne wollen es hingegen bei Software-Updates belassen, die freilich nur eine Teil-Entlastung bringen. Einen Hardware-Umbau lehnen sie ab, auch wegen der Mehrkosten in Milliardenhöhe. Er wolle seine Ingenieure lieber zukunftsorientiert arbeiten lassen als rückwärtsgewandt, argumentierte VW-Chef Matthias Müller. Ganz ähnlich klingt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Ich möchte keine Lösung, die zwar Millionen Dieselfahrer betrifft, aber gleichzeitig dazu führt, dass die Autoindustrie sich nicht ausreichend um eine ressourcenschonende Zukunft kümmern kann“, sagte sie kurz vor der Wahl in einem taz-Interview. Bevor man der Wirtschaft auferlege, zehn oder zwanzig Milliarden Euro in eine alte Technologie zu stecken, „müssen wir erst alle anderen Wege prüfen“.

Geht es bei den Gutachten also nur darum, dass Nein zur Nachrüstung wissenschaftlich zu untermauern? Das Berliner Verkehrsministerium, derzeit von Christian Schmidt (CSU) geführt, widerspricht: „Merkmal wissenschaftlicher Untersuchungen ist Ergebnisoffenheit.“ Die Untersuchungen liefen noch, Ergebnisse lägen bisher nicht vor. Wer im Einzelnen beauftragt wurde, verrät das Ressort nicht.

„Nicht grundlos etwas kaputt trampeln“

Der Karlsruher Professor Koch bestätigt hingegen, dass er zu den Gutachtern gehöre; eingebunden seien auch „andere Universitäten und kompetente Kollegen“. Man sei gerade „mitten in den allgemeinen und fahrzeugspezifischen Analysen“, in vier bis fünf Wochen erwarte er einen Abschluss. Den Verdacht, er solle Merkels Meinung bekräftigen, weist Koch weit von sich: Ein möglicher Wunsch oder das Wohlgefallen der Kanzlerin seien ihm gleichgültig, er kenne sie nicht einmal persönlich. Wichtig sei ihm sein wissenschaftlicher Ruf und die Orientierung an Fakten. Er wolle zur Aufklärung beitragen und damit „vermeiden, das etwas grundlos kaputtgetrampelt wird“ – bei berechtigter Kritik an mancher Softwarelösung und „manchen Machenschaften der Industrie“.

Im Stuttgarter Verkehrsministerium mag man sich freilich nicht allein auf die Expertise von Koch und seinen Kollegen verlassen. Gemeinsam mit dem ADAC Württemberg lässt der Ressortchef Winfried Hermann (Grüne) zur gleichen Frage derzeit eigene Untersuchungen vornehmen. Land und Club kauften vier aktuelle Gebrauchtwagen mit Euro-5-Diesel und ließen sie nachrüsten, darunter eine Mercedes B-Klasse und einen VW-Bus. Die Teile dafür, konstatierte der ADAC, führten die Hersteller selbst in ihren Listen; sie seien also zugelassen und könnten eingebaut werden. Die erste Messphase, vor der Nachrüstung, ist abgeschlossen, derzeit läuft die zweite; danach wird verglichen und der Effekt festgestellt. Ende Februar, Anfang März sollen die Ergebnisse vorliegen – womöglich zur gleichen Zeit wie beim Bund. In der Fachwelt wird schon jetzt mit Spannung erwartet, was der Diesel-Fan Koch und der Diesel-Skeptiker Hermann dann präsentieren werden.