Warum fällt jemand auf einen falschen Polizisten am Telefon herein, obwohl er davon schon zigmal in der Zeitung gelesen hat? An welchen Punkten lassen sich die Täuschungsmanöver überhaupt erkennen? Und: Haben eigentlich auch die Betrüger selbst ihre Schwachstellen?
„Bei den Tricks und Täuschungen haben die Täter einen ganzen Baukasten von Techniken“, sagt Christian Thiel. Der Soziologe der Universität Augsburg hat in seiner Studie „Zur Herstellung von Vertrauen und Täuschung beim Betrug“ Daten und Gespräche mit Opfern, verurteilten Tätern, Polizei und Gerichten zusammengetragen und stellt fest: „Der Täter macht viel mehr, als nur darauf zu hoffen, dass eine leichtgläubige Oma ihn mit einem Enkel verwechselt.“ Dies sei viel komplexer.
Oft klappt es auch zweimal
Durchaus alarmierend ist dabei seine Feststellung, dass die Trickkiste der Betrüger so vielfältig ist, dass sie bei einem Betroffenen auch mehrfach abkassieren können: „Bei einem Opfer ist es tendenziell wahrscheinlicher, noch einmal hereinzufallen, als davor gefeit zu sein.“ Die Täuschung nach einer Täuschung – etwa, wenn nach dem falschen Enkel der falsche Polizist erscheint und um Mithilfe bittet: Für Thiel ist nicht verwunderlich, dass Opfer häufig auch zweimal zahlen, ehe der Schwindel auffliegt. „Die Banden handeln sogar mit entsprechenden Opferlisten“, sagt er.
Warum kauft man oft teurer ein als geplant?
Der Soziologe warnt indes davor, die Opfer nur als einfältig und leichtgläubig anzusehen: „Das kennt man doch auch bei Verkaufspraktiken“, sagt er. Wenn man im Elektronikladen dann doch das teurere Gerät als vorher geplant kauft, wenn man sich von Sonderangebot-Preisschildern beeinflussen lässt, wenn man unter Zeitdruck eine Kapitalanlage wählt – da hat einem oft auch Psychologie einen Streich gespielt.
Die Täuscher setzen geschickt psychologische Tricks ein. „Ein Betrug ist von vorneherein oft nicht erkennbar“, sagt Christian Thiel. Wer könne schon einen echten Polizisten am Telefon erkennen? Und wer ist nicht erschrocken, wenn am Telefon jemand verzweifelt schluchzt – und eine andere Person auch noch erklärt, das sei der Sohn oder die Tochter?
Die drei Phasen des Anrufbetrugs
Erstes Ziel des Anrufbetrügers: Die richtige Gefühlslage wecken. Entweder die Hilfsbereitschaft des Opfers für seine Familie (Enkeltrick) oder die Furcht vor einer Bedrohung (falscher Polizist) oder das Glücksgefühl eines Geldgewinns. Zweite Phase: Überzeuge das Opfer von deiner Identität. Und das auch mit mehreren Akteuren, die sich im Wechsel gegenseitig beglaubigen: der angebliche Polizist, der Staatsanwalt, die Ärztin, der Notar. Schließlich der dritte Baustein: Zwinge das Opfer, sich sofort zu entscheiden. Für die Familie. Für den Gewinn. Und zu zahlen. „Je länger das Opfer mitmacht, desto plausibler wird die Täuschung“, so Thiel.
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Doch wo ist die Schwachstelle der Anrufbetrüger, die zumeist von Callcentern im Ausland die Opfer einwickeln und die Beutezüge steuern? „Die Effizienz“, sagt der Soziologe. Der Regisseur, der sogenannte Keiler, wolle möglichst viele Treffer landen, möglichst viel Geld abzocken. „Der will nicht zwei Stunden nur reden“, so Thiel. Ein guter Keiler spüre sofort, ob etwas zu holen ist oder nicht. „Und da ist der Knackpunkt: wenn es ums Geld geht.“
Was in höchster Not wirklich hilft
Die beste Waffe des Opfers ist: auflegen. Spätestens dann, wenn eine Geldforderung im Raum steht. Weil der Betroffene da aber schon zu sehr verwickelt sei, sieht Christian Thiel hier nur einen Ausweg: „Ältere Menschen, aber nicht nur die, sollten sich grundsätzlich einprägen, dass sie immer mit einer anderen vertrauten Person reden müssen, wenn irgendjemand unerwartet am Telefon viel Geld verlangt.“ Ein Vier-Augen-Prinzip, wie beim Buchhalter.
Also: Darauf bestehen, dass man jetzt auflegt und beim nebenan wohnenden Sohn nachfragt, selbst wenn das gar nicht stimmt? Oder aber bei der richtigen Polizei vorbeigehen und um Rat fragen? „Genau so, zum Beispiel“, sagt Thiel.
Alle anderen Vorbeugungstipps seien schwierig. „Es gibt einfach so viele Maschen und Tricks und Varianten davon, die kann sich keiner merken.“